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Leichenberg 10/2007

 

Kaputt in El Paso

Seit einiger Zeit kann man den Eindruckhaben, Kriminalliteratur sei eine feingeistige Veranstaltung in guter Prosa und der Manier der Hochfeuilletons geworden. Smarte Menschen beiderlei Geschlechts langweilen mit risikolos gepflegter und penibel kalkulierter Prosa. Das ist sicherlich alles toll, aber auch furchtbar überflüssig. Es gilt jedoch ganz und gar nicht für Kaputt in El Paso von Rick DeMarinis (pulp master). Uriah Walkinghorse, die Hauptfigur, ist ein heruntergekommener Bodybuilder, der sich als Hausmeister und Statist im S/M-Studio (als Henker mit dem Beilchen) seine kleinen Brötchen verdient, bis ein Klient am Herzinfarkt verscheidet. So einfach ist der Gang der Welt bekanntlich nicht - und in der sich nun anschliessenden sehr schönen, drastischen Orgie von Gewalt und psychischen Exzessen gelingt es DeMarinis, einen veritabel subtilen Familienroman und eine böse Geschichte über politisch-ökonomische Tatsachen des Grenzlandes zwischen USA und Mexico zu inszenieren. Ein kluges Nachwort von Ekkehard Knörer trägt noch zur erfreulichen Lektüre bei.

Von konzentrierter Bösartigkeit ist auch Driver von James Sallis (Liebeskind). In lockerer Assoziation zu dem Walter-Hill-Film von 1978 erzählt Sallis von einem namenlosen Stunt-Fahrer, der sich sein Geld lieber als Fahrer von Fluchtautos verdient, in unverschuldete Malaise gerät und sich brachial befreien muss. Ein B-Movie sozusagen, das Sallis mit den Mitteln der Verknappung, der Lakonie und des narrativen Minimalismus erzählt, durchsetzt mit allerlei Hin- und Verweisen auf Bilder und Texte der Moderne, die zeigen, dass naives Erzählen nie wirklich naiv war. Ein Meisterwerk.

Gangsterbraut

Naivität ist eine Eigenschaft, die man mit dem Lebenswerk von Elmore Leonard eher nicht in Verbindung bringen kann. Auch nicht bei Gangsterbraut (Goldmann). Der Roman ist ein klassisches period piece, spielt im Oklahoma der 30er Jahre, also während der Depression, als populäre Outlaws wie John Dilinger oder Bonnie Elizabeth Parker und Clyde Chestnut Barrow von den Gesetzeshütern und dem FBI auf dem flachen Lande gehetzt wurden. Keine Mafiosi oder Mobster, sondern Räuber und Mörder des eher kleineren, aber ikonenhaften Zuschnitts mit Sympathiewerten bei der weissen, verarmten Bevölkerung. Der U.S. Marshall Carl Webster will der beste Gesetzeshüter sein, der Schnellste und Schärfste und der Ausgeschlafenste, und so killt er sich seinen Weg nach oben - nett, sympathisch und absolut tödlich. Elmore Leonard hat ein diebisches Vergnügen uns diese vergiftet-nostalgische Geschichte zu erzählen. Und wir vergnügen uns bei der Lektüre aus vollem Herzen.

Grosses intellektuelles Vergnügen bereitet auch Tod eines Trüffelschweins von Thomas Weiss (Steidl). Der Titel deutet in eine völlig falsche Richtung, denn der dünne, konzentrierte Roman entlässt das geneigte Publikum nicht aus einer unbehaglichen Entscheidung: Darf man jemanden, der hunderte von Existenzen ruiniert, eine Hedge-Fond-Heuschrecke in diesem Fall, umbringen? Weiss rekonstruiert fiktiv einen fiktiven Fall und präpariert ihn so, dass man einer Antwort auf diese Kern-Frage nicht ausweichen kann. Spannend, faszinierend, zur Nachahmung aber nicht empfohlen!

Fantômas

Historisch gesehen kommt Kriminalliteratur nicht aus den feinen Etagen der Literatur. Besonders den Beitrag der Franzosen zum Genre, der heute noch immer dort spürbar ist, wo Fantasie, Fantastik, Wahn und Witz sich tummeln, sollte man nicht aus dem Blick verlieren: Fantômas. Beiträge zur Panik des 20. Jahrhunderts nennt Thomas Brandlmeier (Verbrecher Verlag) seine kleine Hommage an ein frühes multimediales Phänomen, bei dem sich Kolportage, Surrealismus, Grand Guignol und die Ideen des Anarchismus in der Figur des maskierten Verbrechers verquicken, der wir doch alle sein wollen. Und wer dazu noch ein bisschen geistesgeschichtlichen Hintergrund möchte - voilà: Horst Stowasser: Anarchie! Idee-Geschichte-Perspektiven (Nautilus), denn bei wirklich guter Kriminalliteratur ist immer irgendwie philosophische Anarchie mit im Spiel.

 

© Thomas Wörtche, 2007

 

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