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Leichenberg 11/2010

 

Verräter wie wir

Die Welt ist schlecht. Das wissen wir. Wir wissen auch, dass die gewaltigen Geldströme, die Milliarden und Abermilliarden von Dollars, Euros und Schweizer Franken, die das Organisierte Verbrechen mit einer fast unendlich breiten Produktpalette verdient, nicht ohne Hilfe, Wissen und Unterstützung der offiziellen Banken und nicht ohne flankierende politische Maßnahmen gewaschen werden können. Denn der Bedarf an Geld ist ungeheuer. Und sei's, damit Staaten ihre Kriege, Obsessionen und unschöne Interessen finanziert bekommen. Jeder Zeitungsleser kann das wissen. Will es aber lieber nicht, weil es in einer sowieso schon instabilen Welt noch ein Wackelfaktor mehr ist. Aber vielleicht liest man es gerne, wenn diese bösen Zustände von John le Carré in seinem neuen Roman Verräter wie wir (Ullstein) ganz und gar heiter und plaudernd, elegant und witzig, anspielungsreich und tricky zu einem Roman verarbeitet werden. Obwohl in letzter Konsequenz die Geschichte von dem mit dem britischen Geheimdienst kooperationswilligen großen Zampano der internationalen Geldwäsche, dem Russen Dima, durch le Carrés Kunstgriff nur noch bösartiger und todtraurig wird. Nach dem etwas flauen letzten Roman (»Marionetten«) diesmal wieder ein Meisterwerk.

Ebenfalls ein Meisterwerk: Der Yellow-Dog-Kontrakt von Ross Thomas. Obwohl der Roman schon 1976 erschien (in einer blödsinnig verstümmelten deutschen Fassung 1978), wirkt der maliziöse und hochintelligente Blick auf die Welt der Realpolitik - in diesem Fall auf die Rolle der Gewerkschaften und die amerikanische Innenpolitik - auch heute noch. Und sei's als Korrektiv zu dem ganzen belanglosen Schindluder, das heutzutage mit dem Genre getrieben wird. Erfreulich, dass der Alexander-Verlag jetzt in die harte Phase der Ross-Thomas-Ausgabe eingetreten ist: In die Rettung und Rekonstruktion der Romane, deren deutsche Fassungen von Deppen ruiniert worden waren.

Der Marathon-Killer

Und vielleicht gibt es ja doch vielversprechenden Nachwuchs bei Polit-Thrillern: Jon Stocks Der Marathon-Killer (Blanvalet) kann zwar noch nicht in der Liga der Großen mitspielen, aber die Geschichte von den sich erbittert bekriegenden britischen (untereinander auch) und und amerikanischen (auch untereinander) Geheimdiensten ist schön böse erdacht. Der "Krieg gegen den Terror" bietet eben prächtige Hintergründe für üble Spiele, die so fiktional gar nicht sind.

Hochkomplex ist Totenkuss von Uta-Maria Heim (Gmeiner). Ihre Kunst ist es, ganz große Themen (RAF, Nationalsozialismus, Kommunismus, Schuld und Sühne, Verstrickung und Tod) an ein Figurenensemble zu binden, das sich über mehrere Romane zu einem Panorama von "Heimat" fügt (in diesem Fall die schwäbisch-alemannische Ecke der Republik) und in einem Kaleidoskop erzählerischer Verfahren inszeniert wird. Man muss die Vorläufer-Romane (»Das Rattenprinzip«, »Totschweigen«, »Das Dreckskind« und »Wespennest« - alle bei Gmeiner) nicht unbedingt kennen, aber man hat definitiv viel Surplus, wenn man der Saga und den einzelnen Figuren folgt. Zum Beispiel der atemberaubenden Demontage einer Polizeifigur, die auch gleichzeitig eine Warnung vor allzu viel Identifikatorischem bei der Lektüre von Kriminalromanen ist... Grandios!

Trio Infernal

Beifall auch für den Lilienfeld Verlag - endlich hat man es gewagt, Solange Fasquelles Trio Infernal aus dem Jahr 1971 ins Deutsche zu übersetzen. Den Film von Francis Girod mit Romy Schneider, Mascha Gonska, Andréa Ferréol, Michel Piccoli und einer Badewanne in der Hauptrolle kennen wir vermutlich alle. Die Romanvorlage, die auf einem authentischen Fall basiert, läuft aber - keine Angst, die Badewanne spielt auch hier mit - ein bisschen anders und ist ein cooles, süffisantes, spöttisches und staubtrocken komisches Stück true noir.

Weil wir gerade in Frankreich sind: Als feiner Cicerone durch das Paris der strukturellen Gewalt - sprich der historischen Blutbäder und anderer furioser Vergnügungen der eher intellektuellen Art - funktioniert der "Kulturführer" Paris - Stadt der Rebellen von Ramón Chao und Ignacio Ramonet (Rotpunktverlag). Eine liebevoll gemachte Topographie von Revolution, Klassenkampf und Avantgarde und deren Spuren. Spannend und ein Kontext-Steinbruch nicht nur für den französischen Kriminalroman. Dazu noch ein Fotoband, der den spezifischen Reiz des Pariser roman noir von Simenon bis Rotman atmosphärisch grandios einfängt: Eine schöne Ausgabe der klassischen Fotos von Robert Doisneau zusammen mit seinen Texten zu den Bildern: Mein Paris (Schirmer/Mosel).

Ein rundum schön geschmackloses Stück Holmesiana ist die graphic novel: Victorian Undead: Sherlock Holmes vs Zombies (Panini) von Autor Ian Edginton und Zeichner Davide Fabri. Das Genie des Verbrechens ist wieder da: Prof. Moriarty. Und der hat gleich Horden von Untoten mitgebracht. Hei, wie das schmatzt und splattert... Und dabei auch noch eine relativ intelligente und hübsche Geschichte... Freunden des wertvollen Trashs unbedingt zu empfehlen!

 

© Thomas Wörtche, 2010

 

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