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Leichenberg 12/2010

 

DU

Eine Leiche erzählt sich und gleichzeitig uns Lesern von ihrem Verfall. Ein Serialkiller tötet, mit eigenen Händen und ohne bemerkt zu werden, die Insassen eines ganzen IC-Zuges oder die Gäste eines Motels oder fast alle Einwohner eines ganzen Dorfes gar. Auch duzt er alles - sich, uns und die Welt. Das hört sich nach Parodie, nach Komik, nach Groteske und Satire an, aber weit gefehlt: Zoran Drvenkars Roman DU (Ullstein) ist absolut unkomisch, ironiefrei und ganz und gar literarisch bebend ambitionös. Nur so lässt sich erklären, warum ein einzelner Kunstgriff, nämlich die Leser- resp. Selbstanrede (fast) aller Figuren, so gnadenlos durchgezogen wird, ob es Sinn ergibt oder nicht. Damit sich das pp Publikum nicht allzu verwirrt (denn Literatur soll schon sein, aber nicht zu arg, weil sonst die Verkäuflichkeit leiden könnte), sind die Kapitel immer mit dem Namen des jeweiligen Dauer-Duzers überschrieben. Neben der Plauderleiche und dem tüchtigen Serialkiller sind das noch fünf Berliner Girlies, ein böser Gangster und ein paar andere Figuren mehr, die alle irgendwie miteinander in Kontakt stehen oder letztendlich miteinander zu tun kriegen. Denn die Girlies haben was gemopst, was dem Gangster gehört und das mag er nicht. Später stößt dann der Serialkiller zu der fröhlichen Hetzjagd, die natürlich blutig ist und so voraussehbar wie das Amen in der Kirche. Über fünfhundert Seiten lang erfahren wir alles über alle und nix ist spannend. Außer der Frage, warum ausgerechnet zwei kreuzdoofe Gangster, die mal kurz auftauchen, ganz konventionell auktorial erzählt werden. Das ist aber doch ein bisschen mager.

Grandios hingegen Kahlschlag von Joe R. Lansdale (Golkonda). Ost-Texas, in den 1930er Jahren, dort wo Lansdale eine ganze Saga (»Die Wälder am Fluss«, »Der Teufelskeiler«, »Sturmwarnung« etc.) angesiedelt hat. Die attraktive, rothaarige Sunset erschießt ihren Mann, der sie gerade mal wieder schlägt und vergewaltigen will, übernimmt dann mit ihrer .38er Polizeiaufgaben und tritt miesen, widerlichen Spekulanten massiv auf die Zehen, die gerade schwarzen Farmern ihr Land wegnehmen wollen, auf dem Öl sprudelt. Die Sache gerät - wie bei Lansdale nicht anders zu erwarten - sehr schön blutig und angesichts des Plots auch sehr schön ironisch. Lansdale schildert Figuren und Atmosphären mit der abgeklärten Meisterschaft eines Großepikers, der sich dem Sog seiner Prosa völlig sicher ist. Da sitzt von Wetter bis zum Outfit der Leute alles, die Dialoge sind intelligent, die Schocks auf den Punkt getimet und wenn man glaubt zu verstehen, wie alles läuft, dann kommt der Haken. Kapital!

DU

Kapital komisch auch Pablo Tussets hemmungsloses Spotten und Speien über sein Spanien, insbesondere über die wunderlichen Wege des katalanischen Nationalismus, der hin und wieder doch ein klein wenig dogmatisch daherkommt. Wobei Tusset selbst natürlich sowas von Katalane ist: Sakamura, Corrales und die lachenden Leichen (Frankfurter Verlagsanstalt) heißt dieser bizarre Polit-Thriller (naja ..., könnte man schon sagen) um einen japanischen Interpol-Kommissar, den spanischen Ministerpräsidenten und den katalonischen Regierungschef, unaussprechlich bösen Terroristen, der scharfe Agentin 69 und einer seltsamen Maschine, die lachende Leichen produziert (oder so), was zwar schlimm, aber bei weitem nicht sooo wichtig ist, wie die Vorgänge in einem katalanischen Fußballverein... Molt entretingut - sehr unterhaltsam.

Intelligent und unterhaltsam auch Çelik & Pelzer (Eichborn), ein Kriminalroman von Ulrich Noller und Gök Senin, der aus dem Hörspielprojekt »Serie Krimi International« (SKI) hervorgegangen ist - ein doppelmediales und, weil manchmal auch live mit Musik aufgeführt, gar trippelmediales Projekt. Aber der Roman um einen Ex-Polizisten aus Istanbul und einer deutschen Psychologin, die zusammen in der realen Geschichte der BRD und der Türkei herumwühlen, funktioniert ohne Frage auch ohne mediales Surplus. Denn auch wenn die beiden Hauptfiguren in der unschönen Politikgeschichte seit den 1970ern stochern, der Roman spielt in einem erkennbaren Hier & Jetzt, das von den inzwischen üblichen Nonsens-Settings des deutschen Standardgrimmis planetenweit entfernt ist. So realitätsgesättigt soll gute Kriminalliteratur sein.

Und deswegen für lange, kalte, lesefreundliche Winterabende auch ein wahrer Backstein aus Realien: Christopher Andrews MI5. Die wahre Geschichte des britischen Geheimdienstes (Propyläen). Des Inlandgeheimdienstes, um genauer zu sein (der andere, der mit den tollen Spionen ist der MI6 und fürs Ausland zuständig), der bis dato notorisch geheimniskrämerisch und paranoid öffentlichkeitsscheu war. Subversiv-kritische Geschichtsschreibung ist freilich von diesem Band nicht zu erwarten, sonst hätte Andrews gewiss nicht soo extensiv in die ansonsten neurotisch abgeschotteten Archive blicken dürfen, aber das Buch liefert Fakten, Fakten und Fakten. Spannende sowieso.

 

© Thomas Wörtche, 2010

 

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