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Leichenberg 11/1998

 

Die Laster und die Tugenden des "klassischen" Krimis kann man immer wieder sehr schön an Rex Stouts Nero-Wolfe-Büchern studieren: Unter Laster fallen die komplizierten, überzwerch und unplausibel verschachtelten Mordrätsel, die am Ende unendlich umständlich dechiffriert werden müssen. Natürlich kann da kein Leser mit logischen oder sonstigen Deduktionen folgen. Daß Leser etwa mitpuzzeln könnten, ist sowieso die große, sich hartnäckig haltende Legende über den "Rätselkrimi", nicht nur den von Stout. Zu seinen Tugenden zählen dagegen die exzentrischen Figuren, die abgedrehten Placierungen und die teilweise sehr elegante und witzige stilistische Inszenierung. Besonders schön zu sehen bei Zu viele Köche  (Goldmann), aus dem Jahr 1938 - ein Roman über die Themen Kochen & Morden, die bekanntlich 60 Jahre später gerade wieder zur Modewelle geworden sind. Vergnüglicher war Stout schon damals - auch wenn einem ob seines benevolenten Rassismus manch mal die Luft wegbleibt.

Noch ein Klassiker, der jetzt endlich wieder auf den Markt kommt, wo gerade mal wieder Literaturbetriebsschlocker und Buchmessenkrimis en vogue  sind: Ende des Kapitels  von Nicholas Blake (Diogenes), aus dem Jahr 1957. Auch dieses Buch ist allen seinen heutigen Nachzockern haushoch überlegen - ästhetisch und intellektuell. Es leidet, wie das von Stout, an der überkomplizierten Anlage von Mordplan, Ausführung und Auflösung. "Krimis" steckten eben lange im Korsett. Heute sind sie aus dem Korsett raus und haben andere Macken. Wie zum Beispiel das Wilde-Mann-Getue in Ken Bruens Abgebrannt  (rororo), eine Art Wichsvorlage für picklige Jünglinge, die ernsthaft daran glauben, daß Frauen Konversationen gerne mit "Fick mich" anfangen. Als Gangster-Roman aus London taugt das Teil auf jeden Fall nicht, als Design-Prosa, die zu wissen glaubt, was Leser wünschen, vielleicht eher. Rilke on black, Bruens Erstling, war zumindest formal sehr interessant, Abgebrannt  jedoch zeigt, daß eine etwas eigenwillige Form auch reiner Manierismus sein kann, wenn man nix zu erzählen hat.

Unendlich viel zu erzählen hingegen hat James Lee Burke. Und zwar immer wieder die gleichen Geschichten aus der Gegend um New Orleans. Im Dunkel des Deltas  (Goldmann) ist ein weiteres Kapitel aus der Dave-Robicheaux-Saga, mit der Burke den feinsten Verästelungen von Geschichte und Gegenwart in diesem blutgetränkten Eckchen der USA nachgeht. Manisch obsessiv und ohne Ermüdungserscheinungen fügt er die grandiose Landschaft, ihre Mythen, ihre Toten und ihre manchmal brutale, manchmal magische Gegenwart zu einem mittlerweile gigantischen Panorama. Bei Burke ist die Erfolgsformel allmählich in pure Besessenheit umgeschlagen. Und das tut den Büchern erstaunlicherweise gut.

Apropos Besessenheit: Durchgerutscht war mir leider die Hardcover-Ausgabe von John Lawtons Blackout. Glücklicherweise gibt es jetzt bei Ullstein die wohlfeile Taschenbuchausgabe eines schönen Romans über eine merkwürdig funktionierende Obsession für Liebe & Tod. Der Roman spielt 1944 in London, später in Berlin, ist wunderbar recherchiert, atmosphärisch meisterhaft gestaltet und sehr rätselhaft. Wenn es je gelungene Crime-Tales-of-Two-Cities gegeben hat, dann ist Blackout eine.

Das Prachtstück des Monats kommt aus dem Haus Limmat: Hannes Binders Text/Bild-Collagen Glausers Fieber. Detailpenible, ins Surreale spielende Illustrationen über delirant arrangierte Glauser-Texte übers Delir - fiktional und nicht-fiktional, so wie Glausers großer, letzter Studer-Roman Die Fieberkurve. Bewundernswert und kostbar.

© Thomas Wörtche

 

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