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Wörtches Crime Watch 04/2008

 

Stephen Kinzer: Putsch!

 

Putsch!

Am 19. März 2003 übte George W. Bush seine TV-Ansprache über die bevorstehende Invasion des Irak im sogenannten "Vertragsraum" des Weißen Hauses ein. Dort hängt ein Ölgemälde mit dem Titel "Die Unterzeichnung des Friedensvertrages zwischen den Vereinigten Staaten und Spanien am 12. August 1898". Es zeigt Präsident William McKinley, der keinesfalls einen Friedensvertrag unterzeichnet, sondern ein Papier, das de facto Kuba zu einem US-amerikanischen Protektorat und Puerto Rico zu einer Kolonie macht.

In seinem Buch "Putsch! Zur Geschichte des amerikanischen Imperialismus" kommt Stephen Kinzer zu dem Schluss, dass zwischen McKinley und Bush zwar 110 Jahre und eine Menge politischer Sünden liegen, aber eine Kontinuität amerikanischer Aussenpolitik ins Auge springt: Die Exekution politischer Macht durch die Entfernung unliebsamer Regierungen und die Einsetzung genehmer Regimes in anderen Ländern. Dieses Prinzip gilt auch, wenn die entfernte Regierung demokratisch gewählt war und die neu eingesetzte ein Terror-Regime ist.

Das ist keine neue Erkenntnis, die Kinzer, u.a. in den frühen 90ern Deutschland-Korrespondent der New York Times, da ausbreitet. Seine chronique scandaleuse, die mit der gewaltsamen Absetzung der Königin von Hawaii 1893 anfängt, die einem amerikanischen Baumwollkonsortium im Wege war, und die bei der Irak-Invasion endet, für die Kinzer keinen einzigen plausiblen, rationalen "Grund", sondern nur seltsame Begründungen zitieren kann, präpariert präzise ein paar Grundzüge heraus: 1) Die USA haben die Fundamente des momentanen weltweiten Antiamerikanimus alle selbst gelegt. 2) Sie haben davon notfalls keine Ahnung, weil sie dazu neigen, fremden Kulturen und Traditionen ignorant gegenüber zu stehen. 3) Diese Ignoranz gründet, pointiert, auf dem rassistischen und religiös-fundamentalistischen Standpunkt, dass alles, was die USA tun, automatisch gut für die Welt, weil gottgewollt ist. 4) Die handwerkliche Ausführung der Umstürze war mangelhaft und oft stümperhaft, vor allem, was die Kalkulation der Folgen betrifft. 5) Die meisten Eingriffe haben den betroffenen Ländern wenig genutzt, sondern sie in Elend und Chaos gestürzt. 6) Die ganz "normale" Machtausübung, die Großmächte seit den Zeiten des Imperium Romanum praktiziert haben, gerät den Amerikanern meistens katastrophal daneben.

Interessanterweise rekurriert Kinzer in diesem Zusammenhang nicht auf die Hauptlegitimationsquelle der neueren Zeit, auf den "gerechten" Zweiten Weltkrieg, von dem sich eine Menge an amerikanischem Selbstverständnis herleitet. Statt dessen bietet er ein deprimierendes Kompendium der Scheußlichkeiten, die wir entweder vergessen und verdrängt haben oder die so glasklar selten rekonstruiert worden sind. Chile, Grenada, Panama, Guatemala, Honduras, Vietnam sind noch einigermaßen im kollektiven Gedächtnis vorhanden. Weniger deutlich vielleicht die Rolle der USA bei der Beseitigung des iranischen Regierungschefs Mohammad Mossadegh 1953, bei der die "Amtshilfe" für die Briten, die ihre Erdölprofite bedroht sahen, aus dem Ruder lief und deren Spätfolgen und noch heute die ganze Region instabil halten. Sinnvoll auch die Erinnerung daran, wie der Afghanistan-Konflikt seit den späten 70er Jahren wirklich gehandhabt wurde, wie sich die USA ihre eigenen Monster schuf…

Die Stärke von Kinzers Buch, das den Stoff von ungefähr 10.000 Polit-Thrillern birgt, liegt nicht in seiner Originalität. Es ist kein Steinbruch für Verschwörungstheorien, sondern eine Dokumentation menschlichen Versagens, niederer Beweggründe, puren Unvermögens und zynischen Kalküls.

Es ist aber auch Ausdruck einer Tugend: Die harscheste und kompetenteste Kritik an den USA leisten die Amerikaner immer noch selber. Wenn diese Kontinuität eines Tages abbrechen sollte, sähe die Welt vermutlich noch düsterer aus.

Stephen Kinzer: Putsch! Zur Geschichte des amerikanischen Imperialismus. (Owerthrow: America´s Century of Regime Change from Hawaii to Iraq, 2006) Deutsch von Ulrich Enderwitz. Frankfurt am Main: Eichborn, Die andere Bibliothek, 2007, 560 Seiten, 32.00 Euro (D).

 

© Thomas Wörtche, 2008

 

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