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Wörtches Crime Watch 10/2006

 

John le Carré: Geheime Melodie

 

Geheime Melodie Armer John le Carré! Seit Jahren immer wieder mit dem blödsinnigen Stereotyp belästigt, Polit-Thriller und Kalter Krieg seien irgendwie notwendigerweise miteinander verbunden. Dann unter Dauerverdacht, nach dem Kalten Krieg nur noch Verlegenheitsromane geschrieben zu haben. Dann als politischer Kommentator systematisch zugunsten des drittklassigen, aber marktgängigeren Frederick Forysth abgebaut. Als Romancier hochnäsig und übel benevolent in die Trivialecke geschoben. Jetzt wieder, mit erheblichem PR-Aufwand in aller Medien Munde - aber selten ohne den hämischen Zusatz, in einem niedergegangenen Genre zu schreiben.

Vor allem die pseudo-ästhetiktheoretischen Handlanger des Neoliberalismus haben sich an ihm gütlich getan. Und das, von ihrer Position aus, mit gutem Grund: Le Carré ist nämlich radikal geworden. Nicht mehr politische Systeme und ihre Zweckrationalitäten, sondern nackte Profitinteressen und deren politischen Rückendecker sind spätestens seit dem »Nachtmanager« Ziel seiner eleganten, bösen und unversöhnlichen Angriffe geworden. Und gute Literatur ist dabei auch noch herausgekommen. Das nimmt man übel.

»Geheime Melodie«, sein neuer Roman, greift wieder da an, wo es wehtun müsste. Es geht um die Ausplünderung des Kongo, die Gier der Industriestaaten nach dessen Bodenschätzen, vor allem das für Handys unabdingbare Coltan. Von wem die Herrschaften ihr Coltan beziehen, ist ihnen völlig egal; kein Warlord zu ekelhaft, kein lokaler Despot zu blutig, keine Leichenhalde zu hoch, um nicht fröhlich Geschäfte zu machen. Aber das tut in den westlichen Gesellschaft niemandem weh. Am allerwenigsten unseren Regierungen, die meist irgendetwas von Demokratisierung und humanistischem Auftrag blubbern, wo es einfach und simpel um Ressourcen geht.

Das muss auch der Held des Romans erfahren: Bruno Salvadore ist Top-Dolmetscher für kongolesische Sprachen. Im geheimen Auftrag des Innenministeriums dolmetscht er eine Konferenz irgendwo auf einer Nordseeinsel, auf der ein internationales Syndikat zusammen mit kongolesischen Vertretern einen Staatsstreich plant, um den Weltmarkt für Coltan zu beherrschen. Folter und Verrat sind neben Höflichkeit und Gourmet-Food völlig "normale" Verhandlungstechniken. Bruno, der zwar ausgeschlafene, aber reine Tor, schnappt sich die Tonbänder und will einen Skandal entfachen. Aber wen interessiert's? An der Spitze des Syndikats steht ein Multimillionär, der als Philanthrop unantastbar ist. Allenfalls die Krawall-Presse möchte diesem Mann Dreck an die Backe kleben, aber der Kongo geht ihr am A... vorbei. Die britische Regierung kuscht vor der Macht des Geldes, und außerdem sind auch humanitär engagierte Rockstars und Royals an dem Syndikat beteiligt, da gilt: right or wrong, my country!

Es wird eng für unseren guten Bruno, der selbst zu allem Überfluss auch noch Halbkongolese ist und sich heftig in eine ugandische Krankenschwester verliebt, deren Aufenthaltserlaubnis im UK wacklig ist. In einer ganz bösen Pointe zeigt uns le Carré am Schluss, dass es völlig unnötig ist, Leute umzubringen, wenn man die Bürokratie geschickt funktionalisieren kann. Im fernen Kongo gibt es eine kleine, uninteressante Militäraktion und in Großbritannien werden zwei "Scheinasylanten" ausgewiesen. War was?

»Geheime Melodie« ist ein Roman über Wahrnehmung. Bruno hört mit, er sieht nur einen Bruchteil dessen, was passiert; und als er das Erlauschte veröffentlichen will, trifft er nur auf Leute, die etwas anderes hören wollen. Oder überhaupt weghören. Das ist präzise die Situation, in der sich Afrika befindet. Und deswegen spielt der Roman, der sich um den Kongo dreht, keine Seite im Kongo. Angeblich will das Publikum hierzulande keine Romane über Afrika, die ein anderes Bild als "Weiße-Massai"-Kitsch oder rassistische Detektive bieten. Le Carrés Perspektive ist insofern hoch pragmatisch und hoch sarkastisch in Einem. Nach den Prügeln für den »Ewigen Gärtner«, der tatsächlich in Afrika spielte, hat er geschickt die Taktik geändert. Wenn wir schmutzige Bilder aus Afrika unter Klischeeverdacht stellen und lieber Klischees für die Wahrheit halten wollen, dann bitte. »Geheime Melodie« ist extra giftig, weil man gar nicht nach Afrika muss, um die Verursacher all des Elend in ihrer ganzen schäbigen Ekelhaftigkeit zu sehen.

John le Carré: Geheime Melodie. (The Mission Song, 2006). Roman. Aus dem Englischen von Sabine Roth und Regina Rawlinson. Berlin: List, 2006, 415 S., 22.00 Euro (D).

 

© Thomas Wörtche, 2006

 

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