Ob sich Verbrechen auszahlt oder nicht, hängt vom Maßstab ab: Wenn man zum Beispiel ein paar Milliarden abzockt, kommt man vermutlich eher ungeschoren davon, als wenn man als kleiner Einzeltäter nur eine Million klemmt (was nicht für politische Parteien gilt, da kommt man auch mit Erdnüsschen durch). Auf jeden Fall ist die berühmte Formel "Crime doesn't pay" nur als struktur- und wertkonservatives Credo von Kriminalromanen irgendwie real. Nicht einmal ein so säureklarer Spötter wie Eric Ambler wollte sich leisten, einen der schönsten Romane über eine Straftat mit einem Happy End für die Täter auszustatten. Ich meine "Topkapi", ein Evergreen des Typus caper novel . Caper novels schildern bekanntlich mit großer Sorgfalt und Liebe zum Detail die Geschichte eines komplizierten Raubs - Vorgeschichte, Planung, Durchführung und dann, meist tragisch, die "Nachgeschichte", die oft polizeilich oder sonstwie juridisch endet.
Im obrigkeitsgläubigen deutschen Sprachraum hat sich dieses Subgenre nie durchgesetzt, zumindest keine prominenten Werke hervorgebracht. In der DDR schon überhaupt nicht, und die fernsehnotorischen Gentlemen, die in den Sechzigern zur Kasse gebeten hatten, mußten auch im Westen letztendlich auf die Schnauze fallen.
Jetzt kommt da ein erstaunliches Buch mit einem eher biederen Titel daher: "Das Geheimnis des Hofnarren". Der Klappentext verspricht Abscheuliches. Irgendwas, bei dem mal wieder das 18. Jahrhundert und das Hier & Heute auf's Merkwürdigste verwoben sind und das man also als üblich überflüssigen Historienkrimi ganz schnell beiseite legen möchte.Auch der manchmal arg harmlos-unbedarfte Erzählton und die gewundenen, gespreizten und steifen Dialoge ziehen einen nicht unbedingt in den Roman hinein.Umso größer dann das Erstaunen darüber, daß Detlef Bluhm (dessen vorzügliche Kulturgeschichte des Tabaks der einzige Grund war, den Roman überhaupt anzulesen) eine wunderbar geplottete, vor a-moralischer Bosheit funkelnde caper novel gelungen ist. Ganz und gar un-deutsch, mit hochplausibler krimineller Energie und robuster, fröhlicher Gier.
Ein netter Berliner Buchhändler nebst ausgekochter Tochter beschließen, dem Freistaat Sachsen einen Schatz wegzustehlen, über dessen Verbleib sie aus dem Studium der Literatur wissen. Das befördert nämlich nicht nur das Schöne, Gute und Wahre, sondern auch das Bare - und gibt somit einen Leseanreiz ganz besonderer Art. Diesen Kick haben sich natürlich auch andere Köpfe schon geholt. Ein schurkischer Staatssekretär, ein schmuddeliger Professor, ein verbrecherischer Antiquar, eine zweifelhafte Literaturstipendiatin.
Bluhm verteilt fein abgestufte kriminelle Potenziale bis zur selbstverständlichen Fähigkeit zu Mord und Totschlag an Berufsgruppen, die man üblicherweise eher der Realitätsferne zeiht. Auch wenn sie nicht gerade stehlen, morden und der allgemeinmenschlichen Habgier obliegen, sind Bluhms Helden rechte Schätzchen. So kickt die ausgekochte Tochter den unliebsam gewordenen Ko-Herausgeber der Zeitschrift, der sie ihre Karriere verdankt, mit einem gnadenlosen, aber legalen Trick aus dem Geschäft. Was wiederum nur mit der Hilfe ihres neuen Lovers funktioniert, der praktischerweise Banker ist und soviel moralische Skrupel hat wie ein Holzbein.
"Das Geheimnis des Hofnarren" ist wirklich ein erstaunlicher Roman. Er faltet alles in seltener Deutlichkeit auf: Die großen und kleinen, die ganz normalen alltäglichen Schweinereien, das System der gegenseitigen Vorteilsnahme und des gegenseitigen Aufs-Kreuz-Legen, mit dem einzigen Zweck, sich den Lebensstandard des gehobenen Mittelstands mit guten Zigarren, bestem Whisk(e)y und feinsten Hotels leisten zu können. Mehr Geheimnis ist dabei nicht. So ist es auch nur logisch und dankenswert, daß der Roman zum Ende keinen unglaubwürdigen Schlenker mehr macht und etwa zu Mäßigung und Einsicht aufruft.
Stiller, verschmitzter und unspektakulärer hat selten jemand in den letzten Jahren die Verfaßtheit des gesamtdeutschen Mittelstands vorgeführt. Nicht schön, aber sehr unterhaltsam und komisch.
© Thomas Wörtche, 1999
Detlef Bluhm:
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