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Wörtches Crime Watch 12/2008

 

John le Carré: Marionetten

 

Marionetten

Es ist lange her, seit ein neuer Roman von John le Carré einen solchen Medienauftrieb erlebt hat - bis hinein ins "Heute Journal". Das ist besonders erfreulich, weil in den letzten Jahren oft zu lesen war, er wäre seit dem Ende des Kalten Krieges der abgehalfterte Großmeister des toten Subgenres Spionageroman. Oder, fast schlimmer noch: Er sei mit dem Furor der letzten Bücher - vor allem dem "Ewigen Gärtner" - endgültig der Gutmensch-Fraktion zuzuschlagen. Den kühlen, analytischen Blick und dessen Umsetzung in spannende Prosa traute man eher Frederick Forsyth zu.

Das allerdings war ziemlich grober Unfug. Umso paradoxer, dass jetzt, wo man le Carré als Doyen des Human-Moralisch-Wertehaltigen breitenwirksam entdeckt, Lob und Hudel sich über "Marionetten" ergießen, den vermutlich langweiligsten, zahnlosesten und ausrechenbarsten aller le Carré-Romane der letzten fünfzehn Jahre. Und gleichzeitig in der Tat ein humaner, moralischer und wertehaltiger Roman.

Die Story ist wenig originell: Ein durch Folter traumatisierter Tschetschene taucht in Hamburg auf, um mit der Hilfe einer engagierten Anwältin ererbtes, aber blutiges Geld islamischen Projekten zu stiften und selbst Medizin zu studieren. Issa, so heisst er, ist ein reiner Tor, der es fertig bringt, so ziemlich gegen jedes Ausländergesetz der EU zu verstoßen. Er hinterläßt eine für verschiedene Geheimdienste verschiedener Länder leuchtende Trampelspur. Das Geld, illegal von seinem verstorbenen Vater angehäuft- sowjetischer Mafioso und Überläufer, Schlächter und Opportunist -, liegt bei der Privatbank Brue Frères, deren Besitzer solche schmutzigen Konten ebenso wie die treue Vorzimmerdame von seinem Vater geerbt hat. Nicht wissend, dass die Bank eine Geldwaschanlage des britischen Geheimdienstes im Kalten Krieg war. Issa wird zum "most wanted man". Nicht weil er geheimdienstlich interessant wäre, sondern weil man mit ihm und seinem Schmutzgeld-Erbe an einen Mann, Dr. Abdullah, herankommen will, den man - mit mehr oder weniger stichhaltigen Beweisen - für einen Financier islamistischen Terrors hält. Oder auch nicht. Er könnte etwas dergleichen sein. Das genügt. Die Dienste instrumentalisieren sich gegenseitig, um Dr. Abdullah aus dem Verkehr zu ziehen, Kollateralschäden eingerechnet, die aber niemanden interessieren. Und so sind le Carrés Hauptfiguren ziemlich einfallslos sortiert: Die Deutschen zwischen Genie und Bürokratie, die Briten als schleimige Vettern und die Amis als Schlächter, die die Menschenrechte im "Krieg gegen den Terror" mit Füßen treten. Das tun die anderen zwar auch, aber nicht so vulgär.

Wer in dieses Spiel hineingerät, hat schon verloren. Und selbst die sich anbahnende Romanze zwischen dem ältlichen, im dritten Frühling verfangenen Bank-Erben Tommy Brue und der gestrengen, winzigen, blonden und blutjungen Anwältin Annabel Richter erstickt an der brutalen Gleichgültigkeit von Realpolitik. Dennoch gehören die Passagen, in denen le Carré diese komplizierte Love Story seziert, zu den starken Momenten des Buches. Ein anderer ist die satirische Darstellung einer internationalen Geheimdienst-Konferenz als Freakshow. Bei sowas ist le Carré unschlagbar, ähnlich wie bei Verhör- und Dialogsequenzen, wo es darum geht, wer etwas wie nicht sagt. Als Nummernrevue grandios, als Roman funktioniert es nicht ganz. Denn bei dem Zorn über die Torheit der Mächtigen, über die schäbigen, kleinteiligen Machtgewinne, bei der Wut über den Scherbenhaufen, den dumme Politik und dumme Gewalt unter Menschen anrichtet und bei der berechtigten Schärfe, mit der le Carré die Bush-Politik geisselt: Für die Tugenden des Polit-Thrillers bleibt wenig Platz. Da ist nichts doppelbödig, brillant, verblüffend, nichts zynisch-elegant, nicht ätzend, nichts komisch, nichts überlegen inszeniert, sondern alles sozusagen eins zu eins. So wie die traurige Wirklichkeit. Vielleicht hat le Carré wirklich das Metier gewechselt und ist zum Zola des "J'accuse...!" geworden. Das aber wäre hoch respektabel.

John le Carré: Marionetten. (A Most Wanted Man, 2008). Roman. Aus dem Englischen von Sabine Roth und Regina Rawlinson. Berlin: Ullstein, 2008, gebunden mit Schutzumschlag, 366 S., 22.90 Euro (D).

 

© Thomas Wörtche, 2008

 

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