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Amazing Anchorage

Thomas Wörtche im Interview mit Stan Jones

 

Stan Jones Thomas Wörtche: Wo genau liegt eigentlich Chukchi? Auf der Karte ist es nicht zu finden, aber ich würde es irgendwo in der Gegend von Kotzebue ansiedeln.

Stan Jones: Ja, erwischt. In der Tat ist Chukchi Kotzebue nachempfunden. Ich habe dort ein paar Jahre gewohnt und dort ist auch mein Sohn zur Welt gekommen. Zu Gunsten der Einwohner von Kotzebue muss ich aber betonen, dass die Begebenheiten der Nathan-Active-Geschichten reine Erfindung sind. Kotzebue, aber das wissen Sie vermutlich, hat seinen Namen von Otto von Kotzebue, der bei der russischen Expedition dabei war, die 1816 die Nordwestküste Alaskas kartographierte.

Thomas Wörtche: Gibt es eigentlich viele Inupiaq bei den State Troopern, der Staatspolizei?

Stan Jones: Natürlich gibt es State Trooper, die Inupiaq sind. Der derzeitige Chef der State Trooper ist Alaska Native, wenn auch, so glaube ich wenigstens, kein Inupiaq. In allen Polizeibehörden, auf allen Ebenen gibt es native cops. Unter dem Aspekt ist Nathan Active eine realistische Figur.

Thomas Wörtche: Wenn wir schon über Realitäten reden: Sie sind ja selbst ein begeisterter Busch-Pilot. Wie viele von Cowboy Deckers Abenteuern haben Sie selbst erlebt?

Stan Jones: Das stimmt, ich bin viel in der Arktis geflogen und habe jede Minute genossen. Glücklicherweise bin ich nie abgestürzt, aber ein paar Mal war es ziemlich knapp - diese Situation haben die meisten Buschflieger schon mal erlebt. Das Vorbild für Cowboy Decker ist, zum Teil wenigstens, ein Pilot, den ich gekannt habe. Deckers Flug und Absturz in Gefrorene Sonne folgt ziemlich genau dem letzten Flug dieses echten Piloten. Der allerdings kam ums Leben. Und: Er hatte keine Passagiere an Bord.

Thomas Wörtche: Und Amazing Grace selbst? Hat die auch ein reales Vorbild?

Gefrorene Sonne Stan Jones: Amazing Grace ist beinahe reine Erfindung. Beinahe deswegen, weil etliche Schönheitsköniginnen aus kleinen Eskimodörfern kommen. Eine von ihnen ist heute sogar Senatorin in unserem Parlament. Ein weiterer Aspekt der Figur stammt von einem Hinweis, den ich während meiner Zeit bei der Zeitung Anchorage Daily News bekommen hatte. Er besagte, dass eine ehemalige Schönheitskönigin (natürlich nicht die Senatorin) obdachlos auf der Fourth Avenue (so heißt die Four Street in Wirklichkeit) lebe. Wir gingen der Sache nach, aber es war nichts dran. Als Idee hat sich das jedoch bei mir festgesetzt, bis ich Gefrorene Sonne schreiben konnte.

Thomas Wörtche: Man liest und hört immer wieder, dass Sie auf Umweltpolitik spezialisiert seien. Können Sie uns das bitte genauer erklären?

Stan Jones: Ich bin Pressesprecher einer Organisation, die sich Prince William Sound Regional Citizens' Advisory Council nennt, also ein Interessenverband der Anwohner des Prince William Sound ist. Dieser Verband wurde nach dem Exxon-Valdez-Unglück 1989 gegründet und will verhindern, dass sich eine solche Umweltkatastrophe in Alaska wiederholt. Wir verfolgen dieses Ziel durch peinlich genaue Überwachung aller Bewegungen von Öltankern im Prince William Sound und im Golf von Alaska. Weil wir selbst keine Kompetenzen haben, sind wir eine Art Lobby für sicherere Verfahren gegenüber der Ölindustrie und den entsprechenden Regierungsstellen. Wir können, wenn nötig, auch sehr laut werden in der Öffentlichkeit. Mehr über uns finden Sie bei http://www.pwsrcac.org.

Thomas Wörtche: Die neue Bush-Administration hat eine vielkritisierte Initiative zur Ausbeutung von Bodenschätzen in Naturschutzgebieten von Alaska gestartet. Wie schätzen Sie das ein?

Stan Jones: Es geht hauptsächlich darum, Teile des Gebietes des Arctic National Wildlife Refuge für die Erschließung und Förderung von Erdöl zu öffnen. Es gibt eine heftige Debatte um die daraus resultierenden Umweltschäden, aber objektiv betrachtet ist es wohl so, dass die Schäden relativ gering wären. Die Erschließung soll nur auf dem Festland erfolgen, was unkontrollierten Ölverlust unter dem Eis der Beaufort Sea ausschließt. Die Erschließungen in der Pruedhoe Bay ganz in der Nähe haben keine negativen Folgen für die Karibuherden dort ergeben. Zudem ist die Technik heute soweit fortgeschritten, dass die Erdoberfläche nur sehr wenig beschädigt werden muss; d. h. die ganze Infrastruktur der Bohrungen (Straßen, Gebäude, Bohrtürme, Pipelines etc.) kann dank neuer Techniken sehr gering gehalten werden. Ein Teil der Gegner des Bush-Plans räumt denn auch ein, dass die reinen Umweltschäden gering sein würden. Das Hauptargument für die Gegner des Projekts, und, wie ich vermute, für die meisten Amerikaner, ist aber, dass wieder eine Wildnis all den menschlichen Aktivitäten, die mit den Ölbohrungen einhergehen, ausgesetzt ist. Das ist eher ein ästhetisches bzw. moralisches Argument, kein biologisches oder umwelttechnisches Argument im wissenschaftlichen Sinn.
    Außerdem muss man bedenken, dass nur ein kleiner Teil des Reservats davon betroffen ist, ein schmaler Streifen entlang der Küste. Die großartigen Berglandschaften der Brooks Range wären nicht betroffen. Jede wilde Natur hat ihre eigenen Schönheiten, aber kaum jemand würde diesen Küstenstreifen so toll finden, dass er als Tourist dorthin wollte. Es handelt sich um flache, baumlose Tundra, keine Berge oder Hügel, bloß flache Seen mit Sümpfen dazwischen. Im Sommer ist es dort nass und matschig, es wimmelt von Mücken und abgesehen von ein paar Wasservögeln gibt es nichts. Im Winter ist die Gegend sturmgepeitscht und kalt. Das Gelände bietet auch keine Unterschlupfmöglichkeiten zum Campen. Vermutlich sehen die meisten Menschen in Alaska beide Seiten: Die Vorteile, höhere Einkünfte des Staates, und die Nachteile, die Störung einer Wildnis. Der Ausgang einer Abstimmung wäre vollkommen ungewiss.

Thomas Wörtche: Ist Alaska eigentlich ein reicher Staat?

Weißer Himmel, schwarzes Eis Stan Jones: Ziemlich reich, würde ich sagen. Wir haben ganz anständige Schulen und eine gute medizinische Versorgung. Alaskas Einkünfte kommen hauptsächlich vom Öl und von der Bundesregierung. Die meisten Arbeitsplätze stellen Öl, Fischfang, Tourismus und Verwaltung.
    Eine Besonderheit ist die Alaska Permanent Fund Dividend, ein Auszahlungsmodus für Ölgelder. Dieser Fond wurde vor fünfundzwanzig Jahren gegründet, in ihn fließt ein bestimmter Teil der Einnahmen der Erdölindustrie. Inzwischen ist der Fond 25 Milliarden Dollar wert und die Erträge werden jährlich verteilt. Letztes Jahr hat jeder einzelne Bürger Alaskas 2000 Dollar daraus bekommen. Dieses Jahr werden es wegen der Börsenkrise nur 1850 Dollar sein, aber das macht für eine vierköpfige Familie immer noch 7400 Dollar. Die Schecks gehen jeweils im Oktober an 600000 Leute, und sofort boomen Kaufleute, Autohändler, Fluggesellschaften und Bordelle, die prompt Permanent Fund-Sonderangebote anbieten. Weil das im Detail zu kompliziert für einen Roman ist, hab ich es in Gefrorene Sonne einfach Öldividende genannt.

Thomas Wörtche: Und wo stecken dann die Probleme von Alaska?

Stan Jones: Armut auf dem flachen Land, im Busch. In den winzigen Dörfchen gibt es nichts zu verdienen, das führt dann zu dem unvermeidlichen Bündel von Problemen: Alkoholismus, hohe Selbstmordrate und Gewalt in der Familie. Und so weiter ... Ich habe ja in Weißer Himmel, schwarzes Eis davon erzählt.

Thomas Wörtche: Eigentlich sind Sie ja Journalist, der Öffentlichkeit hat. Trotzdem benutzen sie ausgerechnet den Polizeiroman als Erzählform...

Stan Jones: Die Möglichkeit, Dinge zu sagen, die ich im Radio oder in einer Zeitung so nicht sagen kann, war sicher ein Grund. Und weil ein Polizist notwendigerweise Außenseiter und Beobachter ist, das ist schließlich sein Job. Das erlaubt ihm, seine Nase in Dinge zu stecken und nachzubohren, zu beobachten und dann darauf zu reagieren, wenn etwas merkwürdig erscheint. Deswegen ist Nathan nicht wirklich ein Bürger von Chukchi, deswegen habe ich ihm Adoptiveltern in Anchorage gegeben. Zurück in Chukchi als Trooper ist er ein Fremder und genauso überrascht, was er da so sieht, wie irgendein Weißer, der zum ersten Mal in eine solche Gemeinde kommt.

Thomas Wörtche: Wie werden Sie eigentlich mit den langen Wintern fertig?

Stan Jones: Gar nicht einfach zu beantworten. Ich weiß auch nicht genau warum, aber ich mag Kälte und Schnee. Wirklich, je kälter und je mehr Schnee, desto besser. Ich würde eigentlich lieber in der Arktis wohnen als in Anchorage, wo die Winter viel, viel milder sind. Ich mag einfach den Anblick der Arktis: offenes, weites Land ohne Bäume und die meiste Zeit des Jahres zugedeckt mit einer schimmernden, weißen Decke. Ich bin sowas wie ein begeistertes Amateurfotograf, vielleicht erklärt das, warum ich diesen Anblick so gerne mag.

Thomas Wörtche: Sie lieben Alaska wirklich? Wann mehr, wann weniger?

Stan Jones: Vermutlich liebe ich es, weil ich hier geboren bin und hier die längste Zeit meines Lebens verbracht habe. Mit anderen Worten: Ich bin es gewohnt. Und mir gefällt es, in einem unerschlossenen Land zu leben. In riesigen Teilen Alaskas hat der Mensch noch keine Spuren hinterlassen. Alaska ist so groß und so wild, dass man den Eindruck hat, es gehe einem nie aus, dass man nie alles gesehen haben wird. In diesem Sinn ist es ein sehr romantisches Land.
    Nur eines ist wirklich abscheulich: Der April in Anchorage. Der Schnee ist weg, aber das Land ist noch nicht grün. Alles ist braun und tot. Wenn unsere Regierung etwas Gutes tun möchte, müsste sie den April verbieten. Wenn meine Leserinnen und Leser nach Alaska kommen wollen, bloß nicht im April. Lieber von Juni bis September!

Thomas Wörtche: Schmeckt Ihnen eigentlich Muktuk, also Walspeckstreifen?

Stan Jones: Hm, ja, ich mag Muktuk, aber nur ganz frisch. Wenn es nicht ganz frisch ist, schmeckt es irgendwie schal und fischig, nicht sehr empfehlenswert. Es gibt aber noch ein anderes, sehr gutes Inupiaq-Gericht: Mikiuk. Das ist sauer vergorenes Fleisch und ich weiß nicht genau, wie es hergestellt wird, aber in kleinen Mengen ist es wunderbar, scharf und würzig, eher eine Vorspeise. Und gefrorener roher Fisch ist natürlich gut, besonders wenn man eine Weile draußen in der Kälte war.

Thomas Wörtche: Sie erzählen in Gefrorene Sonne völlig selbstverständlich die Episode über sexuelle Beziehungen zwischen Mensch und Hund. Haben Sie das erfunden?

Stan Jones: Na ja, es gibt da oben in der Arktis ein gewisses Dorf, wo man, wie es heißt, umfänglich der 'Tierhaltung' obliegt. Auf diesen Begriff bin ich erst in Verbindung mit ebenjenem Dorf gestoßen. Glücklicherweise habe ich diese Art von Beiwohnung nie mit ansehen müssen, also kann ich nicht eigentlich bezeugen, dass so etwas tatsächlich vorkommt...

Thomas Wörtche: Und wie geht es weiter mit Nathan Active?

Stan Jones: Ich bin gerade mit dem nächsten Roman fertig. Er wird Shaman Pass heißen und es geht um einen Mord in der Gegenwart, der mit einem Mord in der Vergangenheit zusammenhängt. Wie der Titel schon sagt, kommen auch Schamanen vor. Nathan muss bei großer Kälte anstrengende Reisen unternehmen, er wird verwundet und es gibt, natürlich, exzellenten, wiederbelebenden Sex!

Thomas Wörtche: Vielen Dank, Stan Jones.

 

Stan Jones: Gefrorene Sonne. Aus dem Amerikanischen von Peter Friedrich. Zürich: Unionsverlag, 2002, gebunden mit Schutzumschlag, 344 S., 19.80 Euro (D)

 

Thomas Wörtche, 2002
© Unionsverlag.

 

Willkommen in den Illusionen! - eine Rezension des Stan Jones' Romans in unserer Rubrik »Krimi-Auslese«.

 

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