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Zweifel als Methode

Thomas Wörtche über Stefan Howalds Eric Ambler-Biographie

 

Stefan Howald: Eric Ambler Eric Ambler gehört zu den grossen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Darüber ist man sich in aufgeklärten Kreisen schon lange einig. Nur ins offizielle Pantheon der Literaturgeschichte ist er noch nicht vorgedrungen. Das liegt vermutlich daran, dass er ein ganzes Genre enttrivialisiert hat, das man lieber auf der Ebene von Kolportage und literarischer Dubiosität belassen möchte - denn sowas konsumiert sich angeblich leichter. Eric Ambler hat aus dem »Thriller« Literatur gemacht. Kraft seiner präzisen eleganten Prosa, seiner hochintelligenten Plots, seines Witzes und seiner überraschenden Themen. Seit Ambler betrachten wir Politik und Wirtschaft mit anderen, mit zweifelnden Augen. Wir wissen es bloß oft nicht. Eine brauchbare Ambler-Biographie war also lange überfällig. Stefan Howald hat sie endlich geschrieben.

Er hat noch mit dem 1998 gestorbenen Ambler gesprochen, er hat Zeitzeugen gehört, er hat sich durch Archive und Korrespondenzen gewühlt und dabei viele Details z.B. aus Amblers frustrierenden Hollywood-Jahren gefunden. Kurz, er hat sich bienenfleißig bemüht, den Meister des unverlässlichen Erzählens mit einer verlässlichen Biographie auszustatten.

In diesen Passagen liegt die große Stärke von Howalds Buch: Wir verstehen den stets etwas unterkühlt und spröde wirkenden Gentleman Ambler vor seinem kleinbürgerlichen Hintergrund mit bohemehaften Ambitionen - Amblers Vater trat als Comedian in englischen Music Halls auf, musste aber als Angestellter die täglichen Brötchen verdienen. Ambler selbst begann sein Berufsleben als Elektrotechniker, wechselte in die Werbung (hier gibt Howald ein spannendes Stück Werbegeschichte und deren Niederschlag in der englischen Literatur der Zeit zum Besten), bis es ihm allmählich gelang, von seiner Schriftstellerei zu leben. Nach etlichen Rückschlägen in den Sparten Lyrik und Theater debütierte Ambler 1936 mit seinem ersten »Thriller«, »Der dunkle Grenzbezirk«. Howald wertet dieses erste Buch als Parodie und gleichzeitige Erneuerung des Spionageromans, dessen heroische Kolportagemuster durch Autoren wie Erskine Childers oder John Buchan zunehmend unangenehm nationalistisch geworden waren. Mit Ambler wurde sozusagen der Blick frei für weit literarischere Varianten des Themas - Joseph Conrads »Der Geheimagent« etwa, oder Somerset Maughams »Ashenden«-Stories.

Aber gleich in der Einschätzung des ersten Romans greift Howald zu kurz. Denn mit dem Begriff Parodie kommt man bei Ambler nicht sehr weit. Sein Bezugsfeld ist nicht die literarische Reihe des Thrillers, sondern der Umgang mit einer zunehmend komplexen Wirklichkeit. Dass das allererste Kapitel seines allerersten Romans gleich davon handelt, dass der Held keine Ahnung hat, was eigentlich passiert ist, sondern seine eigene Biographie aus der Feder eines notorisch unzuverlässigen Journalisten lesen muss, ja, dass die gesamte Handlung des Romans das Produkt einer Amnesie ist, das ist nicht mehr und nicht weniger als das Leitmotiv des gesamten Amblerschen Oeuvres.

»Woher«, fragt denn auch einundvierzig Jahre später der abgebrühteste aller Amblerschen Lügner, Paul Firman, der »kompetente Kriminelle« aus »Bitte keine Rosen mehr«, auch Sie, liebe Leser, »beziehen Sie eigentlich diese absonderliche Idee, Sie hätten ein zwingendes Anrecht darauf, nichts als die Wahrheit erzählt zu bekommen?« Lügner und Interpreten ihrer eigenen Version von »Wahrheit« sind sie alle, die Amblerschen Helden wider Willen, einen Typus, den er wesentlich geprägt hat: Der kleine schwitzige Gauner Arthur Abdel Simpson, der sich in »Topkapi« und »Schmutzige Geschichte« in die Malaise rein und wieder raus lügt, Piet Maas, der suizidgefährdete Zwangsneurotiker aus »Eine Art Zorn« oder Michael Howell, der titelgebende Protagonist und Amokschwätzer aus »Der Levantiner«.

Diese wackligen Erzähler und Amblers unnachahmliche Art, Perspektiven sich kreuzen und dementieren zu lassen, machen skeptisch gegenüber seinem wohl berühmtesten Satz: Er wolle »erklären, wie es zugeht auf der Welt«. Leider liest auch Howald Amblers Romane nur auf dieser Folie. Wahrscheinlich deswegen, weil der stets brillant informierte Ambler über Sujets geschrieben hat, die bisher noch von wenig Literatur bearbeitet worden waren: Über den Balkan als europäischen Krisenherd (»Schirmers Erbschaft«), über die Entkolonialisierung (»Waffenschmuggel«, »Besuch bei Nacht«) in Indonesien, über den Zusammenhang von Geheimdiensten und Wirtschaft (»Das Intercom-Komplott«), den Nahen Osten (»Der Levantiner«), über die Dimensionen der Steuervermeidung (»Bitte keine Rosen mehr«) und die karibische Tragödie (»Doktor Frigo«).

Die hervorragend recherchierten Hintergründe waren in der Tat geeignet zu erklären, wie etwas funktioniert. Aber was Ambler daraus machte, war etwas anderes: Er verwischte jede Spur von Glaubwürdigkeit der offiziellen Verlautbarungen über politische, soziale und wirtschaftliche »Fakten«. Ambler führte mit allen Mitteln der Literatur einen subversiven Gegendiskurs (ein). Deswegen schätzten ihn seine bedeutenden Kollegen wie John Le Carré und Ross Thomas (der ärgerlicherweise bei Howald nicht einmal im Stichwortregister auftaucht) - und da liegt auch der große Unterschied zu den vielen, oft erfolgreicheren Schreibern aus der zweiten und dritten Linie (Forsyth, Ludlum, Clancy & Co.). Dieser Unterschied ist aber nicht in einer vordergründigen Ideologie begründet, sondern in dem zutiefst rationalistisch-ästhetischen Konzept: Dem Zweifel als Methode. Howalds Biographie ist zu artig, um solche Dimensionen herauszuarbeiten. Als Steinbruch für Fakten und Anekdoten ist sie unverzichtbar.

Stefan Howald: Eric Ambler. Eine Biographie. Zürich: Diogenes, 2002, Leinen mit Schutzumschlag, 593 S., 29.90 Euro (D).

 

Ambler für Einsteiger:

Die Maske des Dimitrios (1939).
Vermutlich immer noch Amblers berühmtestes Buch: Eine Verbrecher-Karriere in den 20er und 30er Jahren, quer durch Europa; grenzenlos und auch von Ideologien nicht zu bremsen.

Der Fall Deltschev (1951)
Typisch Amblersches Understatement: »erfreuliche« Möglichkeit nach dem Krieg zum Thriller-Schreiben zurückzukehren. Tatsächlich nach Faschismus und Stalinismus Amblers bösartige, explizite und engagierte Absage an alles Totalitäre anhand eines Schauprozesses.

Das Intercom-Komplott (1969)
Das Ehepaar Ambler zieht in die Schweiz und schon beschäftigt Eric sich mit den schönen Möglichkeiten eines vorteilhaften Standortes für Geheimdienstler und Wirtschaftskriminelle. Wo ist der Unterschied?

Doktor Frigo (1974).
Wie könnte ein Putsch in der Karibik aussehen? Böse Zungen behaupten heute noch, die Sandinistas hätten ihre Revolution gegen Somoza 1978/79 bis ins Detail des Castings bei Ambler nachgelesen. Die Folgen sind bekannt.

Bitte keine Rosen mehr (1977)
Der Kompetente Kriminelle à la Ambler ist emotional stabil, gut angepasst und hat keines der Anzeichen einer defekten Persönlichkeit, von denen behauptet wird, sie seien für den »kriminellen« Typus charakteristisch. Tja ...

(Alle weiteren Romane finden Sie auf unserer Ambler-Seite in den Autoren-Infos.)

 

© Thomas Wörtche, 2002
(Sonntagszeitung, 17. Oktober 2002)

 

 

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