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Leichenberg 01/2005

 

Total illegal 2005 könnte ein gutes Jahr werden. Gleich das erste Buch, das ich gelesen habe, ist sensationell gut: Total illegal von Norman Green (zebu crime). Die Hauptfigur ist ein kluger Einbrecher, der eines Tages versehentlich viel zu viel Geld erbeutet und sich damit erheblichen Ärger einhandelt. Mit seinem kleinen Sohn setzt er sich von New York City nach Neuengland ab und baut sich sozial sozusagen total um. Das Schönste an Greens Roman: Er hat keine Masche, keine Formel, kein Rezept. Es erzählt in leichtem Plauderton (der technisch extrem schwierig zu erzielen ist, die Übersetzung von Anke Caroline Burger trifft ihn auf den Punkt) eine sehr komplizierte Geschichte über komplizierte Menschen in einer komplizierten Welt. Der extrem hohe Spannungsquotient kommt weniger aus Action und Thrill, sondern aus den intelligenten und überraschenden Beobachtungen und Schlußfolgerungen der Hauptfigur und aus der Interaktion eines ausgefeilt aufgebauten Figurenensembles. Wie gesagt - sensationell gut! Und als amerikanischer Roman so ziemlich allem vorziehen, was wir hier gerne als »große amerikanische Romane« von den Herrschaften Kulturverwesern angepriesen bekommen.

Ein seltener Fall Ein dito großer Wurf ist Peter Robinsons Ein seltener Fall (Ullstein). In seinem dreizehnten Roman um Inspector Alan Banks aus Yorkshire hat Robinson sein Projekt, große Panoramen in Kriminalromane zu packen, noch perfektioniert. Zwei Fälle werden parallel behandelt. Der eine ist schon in den frühen Sixties passiert, der andere im Hier und Heute. Zu Tode gekommen sind zwei fast gleichaltrige Jugendliche. Und nein, die Fälle haben nichts miteinander zu tun, das ist der große Vorzug des Buches. Sie haben nur Analogien, an denen sich Schuld und Unschuld und die sich wandelnden gesellschaftlichen Parameter diskutieren lassen. Unter anderem die veränderte Rolle von Polizei. Besonders differenziert schafft es Robinson, im Medium Polizeiroman die heutzutage gerne als pure Ideologie abgetane Polizeikritik zu begründen, ohne einem Alle-sind-korrupt-Noir-Kitsch zu verfallen. Auch hier ist der Kriminalroman ein perfektes Beispiel, warum seriöse Gegenwartsliteratur oft nichts anderes sein kann als Kriminalliteratur, ohne deswegen aufzuhören, Kriminalliteratur zu sein. Tu felix UK!

Raid und der Legionär Dagegen ist das Bemühen eines finnischen Noir schon eher putzig: Harri Nykänen versucht sich mit Raid und der Legionär (Grafit) an einer Kreuzung des klassischen französischen Gangsterromans und des neuen britischen Polizeiromans. Das ist, wie alle allzu offensichtlichen Versuche zur Hybridisierung, ein wenig bemüht, aber letztendlich schon okay. Denn Nykänen hat ein feines Händchen für Atmosphäre und sehr schräge, aber sehr glaubwürdige Figuren von beiden Seiten des Gesetzes. Außerdem ist er lobenswert unambitioniert und unprätentiös. Das wollen wir gerne loben.

Zumindest sehr interessant ist das von Stefan Ummenhöfer und Michael Thaidigsmann herausgegebene Kompendium zu Aktenzeichen XY ... ungelöst. Kriminalität, Kontroverse, Kult (Romäus Verlag). Der Versuch einer Bestandsaufnahme des »Grusicals für miefige Spießer« (H.Böll) mit einer zeitweisen Einschaltquote von über 50%, dokumentiert sehr um Gerechtigkeit bemüht die Pro- und Contra-Diskussionen über die Jahrzehnte. Law & Order-Denken hie, antiautoritärer Reflex auf der anderen Seite - und damit Freund und Gegner aufs Schauderhafteste vereint, in einem Diskurs über Verbrechen und Gesellschaft, der weniger die Realität selbst meint, sondern deren mediale Bearbeitung. Vor allem der Essay »Fahnder und Väter« von Tassilo Schneider ist sehr sinnvoll zu lesen; die ellenlangen »schönsten« Fälle der Sendung hätte man sich im zweiten Teil des Bandes sparen können. Immerhin: Ein Bewusstsein für die gnadenlose unfreiwillige Komik von XY ist dem Buch nicht abzusprechen. Und die ist ja auch der wirkliche Grund, warum XY schließlich Kult geworden ist.

 

© Thomas Wörtche, 2004

 

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