legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Leichenberg 04/2006

 

Jazztime Chicago, in den roaring twenties. Henry Smart, Ire mit Tötungserfahrung, muß raus aus New York, weil er sich mit den falschen Leuten angelegt hat, und landet in der Windy City, wo er vom Fleck weg von einem aufstrebenden Trompenstar als Leibwächter und Mädchen für alles engagiert wird: Von Louis Armstrong. Der ist über seinen Manager Joe Glaser und durch die allgemeine wirtschaftliche Lage für freiberufliche Musiker mit den Herrschaften Capote & Co. verbandelt. Die haben nämlich in der Unterhaltungsindustrie dieser Zeit das Sagen - Nachtclubs, Bars etc. Was für ein Panorama hätte man daraus machen können, welch prallen Gangsterroman! Welch Fundus für Atmosphäre, welche Figuren, welch spannender Stoff! Und auch noch ein dicker Autoren-Name: Roddy Doyle. Herausgekommen ist aber nur Jazztime (Hanser), ein zähflüssig erzählter Roman über eine Zeit, eine Musik und eine Kultur, mit der Doyle so gar nichts anfangen kann. Ein paar nacherzählte Fotos von Weegee, ein bisschen die Armstrong- und Capote-Biographien von Laurence Bergreen paraphrasiert (wenn auch nicht verstanden) und dazu ein nachgerade eckiges und ungelenkes Bemühen, Musik zu erzählen, hörbar zu machen. Ungustiös, leider.

Kalter Mond Enttäuschend auch der dritte Roman des Kanadiers Giles Blunt, Kalter Mond (Droemer). Zwar sind John Cardinal und Lise Delorme aus Algonquin Bay auch hier ein sympathisches und interessantes Ermittlerduo, zwar ist die Eröffnungssequenz des Romans richtig gut - aber dann folgt eine superschlichte, lachhaft durchsichtige und langweilige Geschichte mit à la mode-Ingredienzien: Ritualen, dämonischen Kubanern und bösen Bikern. Und irgendwann ist auch ein supersympathischer Cop mit neurotischer Gattin und mauliger Tochter nur noch gestelzt, gespreizt und dem Trend geschuldet, jedem Cop ein problematisches Familienleben beifügen. Man spürt die Masche und ist verstimmt.

Verstimmt ist man auch bei Leif Davidsen: Der Feind im Spiegel (Zsolnay), der als »kosmopolitischer« Thriller angepriesen wird. Kosmopolitisch doof ist daran höchstens, dass die blödeste aller US-Propaganda-Lügen, der Irak von Saddam Hussein und Al-Quaida seien irgendwie miteinander verbandelt gewesen, die Handlung treibt. Aus Unfug entstehen keine überzeugenden Polit-Thriller, da hilft auch kein brotdummer serbischer Killer in US-Diensten, der in Dänemark gesucht wird, von dort geflohen war und jetzt kurz mal in Kopenhagen vorbeischauen muss, sich im Kaufhaus rumtreibt und auf der Rolltreppe - pardauz - ein Opfer seiner Untaten von dunnemals wiedertrifft. Hurz!

Die Abschussliste So ein unausgegorenes Politgeschwurbel würde Lee Child nie passieren. Das zeigt wieder einmal Abschussliste (Blanvalet). Hier reicht Child den Beginn der Jack-Reacher-Saga nach - das Buch spielt zur Jahreswende 1989/1990. Reacher ist bei einer Eliteeinheit der MP und gerade gemütlich in Panama damit befasst, Noriega auszuräuchern, als er an einen unbedeutenden Army-Standort in den USA versetzt wird. Wo allerdings bald Leichen anfallen. Reacher mag der befohlenen Vertuschungstaktik nicht folgen (was auch ganz höheren Orts nicht von ihm erwartet wird) und beginnt zu graben und sich unbeliebt zu machen. Das ist knapp, dynamisch, klug und sarkastisch, unsentimental, effektiv und klarsichtig. Ein solch cooler Plot mit hohem Plausibilitätsgrad hätte auch von Ross Thomas kommen können. Im »Militärisch-Industriellen-Komplex« hat man sofort nach dem Mauerfall die Implikationen für die Streitkräfte der USA kapiert. Und versucht sich, je nach Truppengattung, neu aufzustellen. Dabei ist dann immer ein bisschen Verlust. Spätestens mit diesem Buch gehört Lee Child zu den richtig Grossen!

Ein richtig Großer, ein ganz Großer ist natürlich Ray Bradbury, auch so eine Stückelleiche deutscher Verlagspolitik. Rettung kommt mal wieder von den Kleinen: Bringen wir Constance um! bei der schönen Edition Phantasia. Ein Hollywood-Noir, melancholisch, im besten Sinne altmodisch, grandios, Bradbury!

 

© Thomas Wörtche, 2006

 

« Leichenberg 03/2006 zurück zum Index Leichenberg 05/2006 »

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen