Wenn es noch eines allerletzten Beweises bedurft hätte, dass serial-killer-Romane um nichts anderes gehen als um leere Effekte, so hat ihn Jean-Christophe Grangé mit seinem neuen Buch Das schwarze Blut (Ehrenwirth) geliefert. Die Mär vom obsessiven Journalisten, der unbedingt mit einem scheusaligen Mehrfachtäter in Kontakt kommen will und deswegen - als Frau getarnt - eine Brieffreundschaft mit dem Schlitzer beginnt, ist technisch glatt gemacht, ohne Frage. Aber die ganze Technik kann nicht den erbärmlichen Grundentwurf verdecken, der da heißt: Serial killer sind ein tolles Thema und wichtige Personen, weil ich, M. Grangé, behaupte, dass das so ist. Das bleibt ihm natürlich unbenommen. Uns aber bleibt unbenommen, dass wir uns von Null-Themen ohne jeden »Sitz im Leben« nicht beeindrucken lassen.
Wenn schon keinen Sitz im Leben, so doch einen in der Literatur- und Kulturgeschichte New Yorks hat Walter Sattertwhaits »Miss Lizzie«-Sequel Miss Lizzie kehrt zurück (dtv). Eine charmante Nummernrevue mit Aufritten so notorischer Persönlichkeiten wie dem Cotton-Club-Besitzer Owney Madden oder dem »Napoleon des Verbrechens«, Arnold Rothstein, und natürlich der wunderbaren und großartigen Dorothy Parker. Die Mordgeschichte, die Satterthwait um diese und andere Celebritys herumbaut, ist nett, mehr nicht. Aber immerhin hat George Baxt hier einen würdigen Nachfolger gefunden.
Nett ist auch Das falsche Spiel des Fischers von Roberto Mistretta (edition Lübbe). Man ist schon dankbar für jeden Roman aus Sizilien, in dem nicht hinter jedem Busch ein arger Mafioso sitzt, darf aber ob der knuffelig-kuscheligen Atmosphäre, in der Mistretta seinen grummeligen Maresciallo Bonanno walten läßt, schon ein wenig das Marketing-Konzept des »Sympathieträgers« vermuten. Und sich natürlich ärgern, dass ohne Not mal wieder der inzestuöse Kinderschänder umgeht. Der gehört inzwischen einfach zum Ensemble wie früher der jugendliche Liebhaber beim Provinztheater - und der war schon lächerlich genug.
Origineller ist da schon Tango Negro von Reijo Mäki (Stegemann). Finnland ist ja bekanntlich Tango-verrückt und um den Mord an einem Tango-Star geht es auch in diesem durchaus alkoholgesättigten und auf eine üble Schlußpointe hingeschriebenen Roman. Zudem ist Privatdetektiv Jussi Vares, Mäkis Haupt- und Serienfigur, ein sehr plausibler, keinesfalls weichgespülter Typ ohne penetrante Moralanfälle, aber mit sehr, sehr trockenem Witz. In der »Skandinavien-Ecke« hat Mäki glücklicherweise nichts zu suchen.
Auch Mortifer (Rowohlt), der neue Roman des Mutter/Tochter-Duos P. J. Tracy gehört nicht mehr in die Cop-Ecke wie ihre ersten beiden Romane. Das Szenario ist so verblüffend wie plausibel und politisch. Die größte Gefahr für die USA sind die USA - hier in Gestalt von durchgedrehten Superpatrioten, die mit dem Kampfgas Sarin hantieren und so nebenbei ein ganzes Dorf auslöschen. Die Heldinnen des Romans rutschen eher versehentlich in diesen Schlamassel und müssen irgendwie überleben. Das ist dann action pur - aus einer dezidiert weiblichen Perspektive geschrieben, und deswegen womöglich noch einen Tick spannender. Intelligent ist das Buch sowieso, das aber war bei P.J. Tracy eh zu erwarten.
Ein intelligenter Roman ist auch Andy McNabs Schattenkiller (Blanvalet), der eine komplizierte Geschichte erzählt, die im Bosnien-Krieg 1994 beginnt, und kurz nach dem Sturz Saddam Husseins endet. Es geht um machtpolitische Realien der unschönen Art, um menschliches Verhalten in Zeiten des Kriegs, um Loyalität, um Schein und Sein und um Profit. Garantiert kein schönes Buch, aber ein exzellenter Polit-Thriller wie er sein soll.
© Thomas Wörtche, 2006