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Leichenberg 05/2017

 

Dark Web

Der Krimi sei politisch, pfeift, kräht und dröhnt es seit einiger Zeit aus allen möglichen und unmöglichen Kanälen. Ach neee, echt? Naja, 1929, als Hammetts "Red Harvest" erschien, ist ja kaum 90 Jahre her, der französische Polar, die lateinamerikanische novela negra und andere explizit politische Formationen von Kriminalliteratur sind auch erst seit 60, 70 Jahren dabei. Dabei ist mit dem neuen Gekrähe wahrscheinlich eher gemeint, der "Krimi" solle a) politische Themen behandeln und b) politische Standpunkte haben. Das läuft meistens auf c) heraus: Botschaften.
      Sowas kann dann so aussehen: Die bösen Russen wollen ihre alte Sowjet-Herrlichkeit wieder herstellen, ach was, den ganzen Planeten wollen sie. Deswegen tun sich Mafia, Geheimdienst und große Politik zusammen und bauen eine Supermegagigasuchmaschine namens HOLOS, die im Grunde die ganze Welt beherrschen kann, weil sie auch das Darknet im Griff haben wird. Denn im Darknet nistet das Böse: fiese Drogen, Miet-Killer und unfassbar grausames Sexzeug. Besonders unfassbar grausam - schlotter - aber ist der "Puppendoktor", ein Mad Scientist, der junge Frauen und Mädchen aus osteuropäischen Waisenhäusern oder afrikanischen Krisenregionen günstig erwirbt und zu lebendigen Sexpuppen umbaut, die dann für erstaunlich wenig Kohle (30.000 Euro) an böse Menschen verkauft werden, die dann ihrerseits am Draht der Russenmafia hängen und nützlich sein müssen. Und damit wir auch wirklich verstehen, wie unfassbar grausam das ist, bekommen wir in Veit Etzolds Dark Web (Droemer) auch minutiös und lustvoll geschildert, wie das genau funktioniert - und als Alibi schreit immer einer "oh, wie entsetzlich" und wimmert vor Empörung, worauf prompt das nächste unfassbare Gräuel folgt (und nein, Sie möchten nicht, dass ich zitiere). Aber das ist ja nur ein kleiner Nebenstrang in einem ganzen Handbuch finsterer Bedrohung. Zwar kämpfen tapfere Menschlein aus BKA und BND gegen die bösen Russen, aber das können sie nicht so richtig, weil sie behindert werden. Von den eigenen Leuten, von der Politik und überhaupt. Sowas nennt man moral panic. Und damit die gut ankommt beim Lesevolk, ist das Ganze für Dummys inszeniert: Keine komplexen Sätze, redundant wie eine Gebetsmühle, frei von störenden Brechungen oder sonstigem Kunst- resp. Literaturverdacht, frei von jeglicher Plot-Komplexion und gespickt mit Mondänitäten - schicke Schauplätze, Luxushotels, Flughäfen, alles schön global (ja, der Feind hat die Globalisierung verstanden) - und absolut komik-resistent. Wobei unfreiwillige Komik noch das Positivste ist, was man über das Werk sagen kann. Aber eine Botschaft, siehe oben, quillt aus allen Ecken und Enden: Die Bedrohung ist ungeheuerlich und wer wird da nicht einsehen, dass Freiheits- und Bürgerrechte in diesem titanischen Kampf doch eher hinderlich sind. Der Krimi ist politisch, in der Tat.

Sie werden dich finden

Manchmal ist das Politische auch gar nicht politisch oder tut nur so. So wie James Rayburn in Sie werden Dich finden (Tropen) das ganz clever macht. Hinter dem Pseudonym Rayburn verbirgt sich Roger Smith, dessen Südafrika-Romane zuletzt ein bisschen arg die Angst vor'm schwarzen Mann kultivierten und der sich seit einiger Zeit unter anderen Namen mit anderen Genres (Horror als Max Wilde) beschäftigt. Jetzt also mit dem "internationalen Thriller". Kate Swift hat für eine zwischen Staat und Privatwirtschaft angesiedelte Supersupergeheimorganisation gearbeitet, die die Schmutzarbeit für gewisse Regierungskreise macht. Als ihr Gatte von eben diesem Verein mittels Drohne pulverisiert wird, gibt sie die Whistleblowerin und macht Ärger. Mit ihrer Tochter taucht sie ab, fliegt aber auf und wird gejagt. Also flieht sie rund um den Globus nach Thailand, wo sich ihr Vater (der aber nix davon weiß), ein ehemaliges Masterbrain der Spionagezunft, abgehalftert verkrochen hat. Und von dort aus schlagen sie zurück, Zug um Zug. Das ist alles gekonnt gemacht, präzise kalkuliert, mit netten Twists und cooler Action und einem locker-zynischen Erzählton. Das funktioniert prächtig, würde aber genau prächtig funktionieren, wenn die Bösen zum Beispiel Mafia-Bosse wären oder so. "Politik" steht hier einfach für "böse", eine schlichte Zeichenoperation, damit das Plot-Maschinen allerliebst schnurrt.

Die letzte Stunde naht

Politik ist auch das Movens von Reginald Hills Die letzte Stunde naht (Droemer), beklagenswerterweise der letzte Dalziel & Pascoe-Roman des 2012 gestorbenen Autors. Weil sein Sohn für's Parlament kandidiert, räumt ein alter Gangster seine Vergangenheit auf, mit aller Gründlichkeit. Und so hat Dalziel im fernen Yorkshire ein Mordrätsel zu bearbeiten, dessen Grund in London wurzelt. Wie immer bei Hill ist das old school auf Niveau: Elegante, barock geschnörkelte, hin und wieder manieristische Erzählbögen und -linien. Bizarres Personal, Exzentriker ohne Ende, Rätsel über Rätsel - und am Ende verdreht sich das Politische doch wieder ins Private. Für einen klassischen britischen Polizeiroman bietet dieses Ende in der Tat einen sehr gekonnten Clou, der auch sehr geschickt und gekonnt verschleiert angeteasert ist. Auch hier ist "Politik" nur ein (im Grunde austauschbares) Element der Zeichenoperation, semantisch leer, aber das tut natürlich dem Vergnügen der Lektüre des Romans keinen Abbruch. (Abbruch allerdings tut diesem Vergnügen die deutsche Fassung, in der sich "SEKs" in Yorkshire tummeln, wo sich die Leute gegenseitig mit "Bursche" oder "Mädel" anreden.) Aber vielleicht rückt ja "Politik" inzwischen in die Funktion, die lange "der Serialkiller" hatte - eine Motivationsmotiv wie jedes andere, mit dem man das Schema Fall - Aufklärung füllen kann. Das ist dann aber nicht politisch oder auf sehr vermittelte Weise aber doch: Es stiftet konsensualen Sinn.

Stadt der Intrigen

Ganz explizit politisch will Christina Kovacs Stadt der Intrigen (Penguin) sein - ein Porträt des politischen und massenmedialen Washington, D.C. Kovac kennt dieses Pflaster bestens, weil sie lange für NBC und andere Sender gearbeitet hat. Insofern ist viel atmosphärischer und ablauftechnischer Beifang bei ihr zu holen, viel Info über die Mechanismen von Medien und Macht, aber genau das ist Problem: Das, was wir schon wissen (falls wir uns damit beschäftigen) oder zu wissen glauben, wird hier mit einer eher dürftigen Handlung, gekleidet in eher unbedarfte Prosa, sozusagen noch einmal fiktional beglaubigt. Ja, so isses, bleibt als Fazit und Erkenntnis. Das aber ist nicht der Job von Literatur.

Ist Fat Bob schon tot?

Da ist Stephen Dobyns' Ist Fat Bob schon tot? (C. Bertelsmann) schon ein anderes Kaliber. Lassen Sie sich nicht vom Cover beirren, wir freuen uns, dass auch Buchhersteller öffentlich dazu stehen, Substanzen zu konsumieren. Der Roman um einen betrüblicherweise und auf betrübliche Weise zu Tode gekommenen Freizeit-Biker, einen reinen Tor, eine wunderliche Spendenabzocke-Bande, zwei vertrottelte Cops, robuste Frauen, einen mordlustigen Gangster und seine Gehülfen, einen Typ mit tourettehaftem Asperger und einen so was von reinlichen Bump in einem Kaff in Neuengland ist irgendwie schon ein Meta-Roman, aber ein durchaus witziger: Dobyns Orgie an auktorialem Erzählen, an Abschweifungen und Mäandern, an Leseanrede und allerlei anderer erzähltechnischer Strategien zwischen Laurence Sterne und Italo Calvino ist wahrlich nicht innovativ oder originell, seziert aber sehr schön die Formeln und Standardsituationen des Small-Town-Noir und macht sich dabei herzlich darüber lustig: Situationskomik, Sprachkomik, fahle Scherze, gute Scherze, Slapstick, tongue-in-cheek, alles da. Und immer klarer zeichnet sich der Pappmaché-Charakter ernstgemeinter Noirs ab, wenn sie ungebrochen daher kommen und "knallhart realistisch und tabulos" sein wollen. Ein charmanter Schlag gegen einen zeitgeistigen Hype. Sowas geht so alle zwanzig Jahre einmal, vor Nachahmung sollte man allerdings bitte absehen, denn auch "anti" wird schnell zur nervtötenden Masche.

 

© Thomas Wörtche, 2017

 

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