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Leichenberg 05/1996

 

Frühling ist, wenn die Frühjahrsbacksteine einschlagen: Die Trümmer über 500 Seiten, die gleich paketeweise eintreffen und alle, alle sofort besprochen werden wollen. Konsequenz: Sie werden nur noch kritischer angeschaut, weil man mit seiner Lebenszeit vorsichtig umgehen muß. Deswegen heute nur ein Buch über 500 Seiten: Dunkle Engel, eine Anthologie, herausgegeben von Jerome Charyn (btb-Goldmann). Das Original (aus dem Jahr 1993) hieß "The New Mystery" und war eine Sensation. Weil Charyn nämlich endlich und konsequent eine Entwicklungslinie erzählender Literatur von Isaak Babel bis Ross Thomas sichtbar macht, die das universelle Thema "Verbrechen & Gewalt" ohne läppische Etikette wie "Krimi" oder sonst dergleichen als "Literatur, die außerhalb jeden Gettos Bestand hat" dokumentiert, ob sie nun von Clarice Lispector oder Lawrence Block, von Pieke Biermann oder Paco Ignacio Taibo II stammt. Dunkle Engel  ist wegen ihrer stilistischen, personalen und internationalen Spannweite eine grundlegende Anthologie der zeitgenössischen Literatur.

Apropos zeitgenössische Literatur: Der Südafrikaner James McClure gehört ohne jeden Zweifel in diese Kategorie. Seine "Kriminalromane" aus dem Südafrika der Apartheid, die nach und nach bei rororo erscheinen, sind Band für Band merkwürdige, sperrige, aber glasklare Texte über den Terror totalitärer Systeme und die Zumutungen für Menschen, darin leben zu müssen. Die Jagd nach dem Schatten   ist der Titel eines lange vergessenen Juwels.

Und immer noch zum Thema: Als erster Band des Labels "Pulp Master" ist im Berliner Maas-Verlag das letzte Buch von Derek Raymond erschienen: Roter Nebel. Kein Ende im Verwirrspiel um diesen wunderbaren Autor. Bastei - Black Lizard - Rotbuch - Maas: die unglückliche Publikationsgeschichte eines Autors, den man vor seinen jämmerlichen Vermarktern in Schutz nehmen muß. "Pulp Master" ist der pure Hohn, auch wenn Raymond Pulp-Elemente benutzt hat. Aber ist Erik Satie Barmusiker, weil er Barmusik verwendet hat?

Alles, was ihm in die Finger kommt, verwendet Gisbert Haefs in seiner neuen Matzbach-Groteske Kein Freibier für Matzbach (Goldmann). In Bonn am Rhein ist die Welt schon so durchgeknallt, glaubt man jedenfalls dem neuen Abenteuer von Matzbach & Felix Yü, daß Berlin für die meisten Bonner keine Schrecknisse mehr haben dürfte. Fehlt eigentlich bloß noch ein toter Pelikan am Rheinesstrand.

Etwas gemächlicher geht es bei Thomas Adcocks neuem Roman zu: Ertränkt alle Hunde (Haffmans). Seinen Serienhelden, den Detective Neil Hockaday von der New Yorker SCUM-Unit, verschlägt es diesmal ins Land seiner Väter, Irland. Irland hat bekanntlich viel mit New York und seinen Polizisten zu tun. Suff, Katholizismus und die IRA sind nur ein paar Aspekte dieser merkwürdigen Beziehung, die auch Hockaday einige Momente schmerzlicher Helle bescheren. "Die Vergangenheit ist niemals vergangen" heißt es einmal - und aus diesem Unstand macht Adcock einen wunderbaren Roman, abseits jeder Schublade.

Ebenfalls schubladenfrei: Der Schwan  von Sebastiano Vassalli (Piper). Momentaufnahmen aus der Frühgeschichte jenes Verhaltensmusters, das dann "Mafia" heißen wird. Vorzüglich ist Vassalli gelungen, mit virtuosen Schlaglichtern "Mafia" eben nicht als finstere Verschwörung, sondern als amorphes System gegenseitiger Vorteilnahme deutlich zu machen. Überall in der Gesellschaft.

© Thomas Wörtche

 

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