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Leichenberg 06/2000

 

Auweh, ist die Welt schlecht! Chinatown in New York zum Beispiel. Jede Kneipe eine Lasterhöhle, unvorstellbarer Luxus, unvorstellbar böse Menschen knechten andere Leute unvorstellbar böse. Und Hongkong erst - das reine Verbrechen, alles illegal, alles ganz schlimm. So ist die Welt, die uns Reggie Nadelson in ihrem Roman Heisser Mohn (Ullstein) vorführt. Gut, dass es Artie Cohen gibt, einen Ex-Cop russischer Abstammung, der sich mit dem ganzen schlimmen organisierten Verbrechen nach ein paar Jahren in den States so gut auskennt, dass er mit den gemeinen, unvorstellbar bösen Gangstern aufräumen kann. Schlimm! Dabei ist der Roman durchaus flott gemacht, ein wenig wirr geschnitten und völlig komik-frei, was nun angesichts der vielen schlimmen Dinge schon wieder fast unfreiwillig komisch ist. Also: Ein lustiges Märchen mit hohem Unterhaltungswert.

Ganz schlimm zu geht's auch in Irland. Nein, nicht in politicis, das heisst: Doch, aber diesmal ist nicht die IRA schuld, sondern eine geheimnisvolle Sekte, die mal wieder den Islam ausrotten möchte. Oder so. Deswegen wird allerlei schlimme Ranküne in die Wege geleitet. Dunkelmänner morden, schänden und schnetzeln, und detailfreudig unterbreitet uns Patrick Dunne in seinem Super-Mega-Giga-Hammer-Schocker Die Keltennadel (Limes) vornehmlich Degoutantes aus der Abteilung durchgeknallte Gynäkologie. Desgleichen aus der Abteilung selbstgemachte wandelnde Bomben. Das Ganze Gepütschere läuft unter dem schönen Motto: Lass Dich nicht mit Sekten ein! (Das musste endlich mal gesagt werden), ist aber letzendlich doch ironiefähig, wobei ein paar Spritzer Menstruationsblut wahre Wunder wirken. Nu, wer's mag. Erstaunlich ist bei solchen gnadenlos kalkulierten Gruselschockern inzwischen die technische Qualität: Das Buch ist zweifelsohne ein Pageturner. Hinterher unwohl, wie Thomas Mann einst in ähnlichem Zusammenhang notierte.

Gleich am Anfang unwohl wirds einem bei Santiago Gamboas Verlieren ist eine Frage der Methode. Weil das Buch als schönes Hardcover bei Wagenbach erschienen ist, handelt es sich vermutlich um Literatur - und nicht um einen billigen Krimi, auch wenn die doppelt gepfählte Leiche, die auch sonst nicht gut beisammen ist und gleich am Anfang auftaucht, durchaus als Grobreiz gelten kann. Aber weil Gamboa ein geschickter Schriftsteller ist, quält er uns in diesem halluzinatorischen Roman aus Bogotà - in dem's, Lob und Preis, nicht um Koka geht - nicht mit pausenlosen Realismusunterstellungen. Davor bewahrt etwa der nette Kunstgriff, grössere Passagen der schlimmen Vorgänge den fetten Polizisten Aristófanes Moya seiner Diät-Gruppe erzählen zu lassen. Da gehören Kriminalschoten auch hin.

Man kann natürlich auch aus vollem Herzen höhnen. So wie Walter Satterthwait mit seinem New-Age-Spottlied Der Gehängte (dtv), in dem sein PI Joshua Croft mit allerlei keineswegs harmlosen Spinnern zusammenknallt, die Obskurantismus in cash flow verwandeln. Und das ist natürlich schlimm.

Unser dickstes Buch des Monats mit 430 Seiten ist gar kein Kriminalroman. Zumindest keiner in Prosa, sondern einer in Bildern: Autoroute du Soleil von Baru (Edition Moderne) - ein Road Movie quer durch Frankreich. Von Lothringen nach Marseille müssen die beiden Helden - ein vom Testosteron arg geplagter Beur und ein pubertätsgeschüttelter Sohn italienischer Einwanderer flüchten, weil nicht nur ekelhafte Neo-Nazis hinter ihnen her sind, sondern auch bis an die Zähne bewaffnete Dealer. Aber darum geht es nur am Rande: Was Baru da mit seinem grandiosen Comic-Epos vorlegt, ist ein Querschnitt durch die psychosozialen Landschaften der Grande Nation. Und die sind nicht nur schlimm, sondern auch bizarr, komisch, gewalttätig, verräterisch und sehr menschlich.

 

© Thomas Wörtche, 2000

 

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