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Leichenberg 06/2012

 

Die Stadt der Toten

Achtung, bitte nicht durch Cover, Buchgestaltung und überhaupt die ganze auf neckisch gemachte Präsentation abschrecken lassen: Die Stadt der Toten von Sara Gran (Droemer) ist einer der interessantesten und besten Kriminalromane der letzten Jahre. Auch der Untertitel: »Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt« ist angesichts der Komplexität des Romans albern, selbst wenn Claire DeWitt, so heißt die Heldin des Romans, sich als genau das bezeichnet. Aber DeWitt ist eine Mythomanin, ihr Mythos heißt "Détection", ein ultraschräges Vademecum, ein "Welthandbuch" von Jacques Silette, aus dem Jahr 1959. Wenn man dessen Weisheiten - und die des I Ging, die der eigenen Visionen, Halluzinationen und Träume auch - folgt, wird man alle möglichen Fälle lösen. Oder auch nicht. Denn in Claire DeWitts Welt ist vieles gleichzeitig wahr - und zwar in aller Schärfe. Ein sehr schlechter Mensch kann auch ein sehr guter Mensch sein (nix da mit Grauwerten), ein Mörder kann völlig zu Recht morden. DeWitt ist gewalttätig, tätowiert, extrem exzentrisch, eine freudige Drogen-Userin, instinktgetrieben, witzig, rational, der wandelnde Widerspruch - Lisbeth Salander ist dagegen eine eindimensionale Figur. Und Sara Grans Roman beschreibt neben vielen surrealen und irrwitzigen Begebenheiten und Konstellationen auch glasklar, was Rassismus, Gier, Inkompetenz, Indolenz, Korruption und politische Reaktionen während und nach dem Hurrikan Katrina New Orleans angetan haben - «The City of Dead» (nicht die »Stadt der Toten«, aber da wollte man vermutlich noch bei Winslows »Tage der Toten« assoziativ abgreifen). Sensationell gut!

Ein letzter Job

Immer wieder Freude macht, wie Adrian McKinty Hochbildung und blutspritzendes Gemetzel miteinander verbindet. In Ein letzter Job (Suhrkamp) sinniert ein Profikiller über Platos "Symposion" und der Geist von Alan Lomax wird aufgerufen (Hand aufs Herz: wer nicht zufällig mit Musik-Ethnologie zu tun hat, wird von Lomax und seinen field-recordings kaum gehört haben) und andere nette literarische, film- und andere geschichtliche Details versöhnen mit McKintys allzu ordentlich akademischer Handlungsführung. Wenn ein böser Killer nach Mexiko kommt, wird bald die Motorsäge tätig, einfach weil zu Zeit in Realität und Fiktion (vgl. Winslow) viel gemotorsägt wird in Mexiko - und wie führte man sonst einen Killer ordnungsgemäßer ein? Aber McKintys in die Hände klatschende Freude, dass er ganz, ganz doll knallharte Gangster-Romane schreiben darf, ist derart charmant, dass man ihm gerne folgt. Denn schreiben kann er, Tempo machen; und was ein anständiger Schluss in der Manier des BritNoir ist, weiß er auch. Und dass man sich dabei für ein Sequel noch ein Hintertürchen offen lässt...

Sein letzter Wille

Sehr leichtfüßig auch Harlan Corben: Sein letzter Wille (Goldmann). Myron Bolitar und die Seinen mal wieder unterwegs in family matters. Ein bisschen überplottet, vielleicht, die Geschichte von Ex-Tennis-Stars und Rock-Giganten, die der Mafia gehören (sehr plausibel, dieser Teil) und von den losern des Showbusiness. Dazwischen fuhrwerkt mit losem Mundwerk und der brachialen Hilfe von Freund Win der selbsternannte Lew Archer unserer Tage, Myron Bolitar. Denn Corben ist vermutlich der treueste Wahrer des Ross Macdonald'schen Ethos der Tiefenbohrung in verhaute und versaute Familiengeschichten. Also da, wo's den family values und damit den "gesellschaftlichen Grundwerten" wirklich wehtut. Schon eher Ross Macdonald light, was aber völlig okay ist.

High Life

Unfreiwillig komisch ist High Life von Matthew Stokoe (Arche). Eine ganz klassische Hollywood-Noir-Geschichte von einem der nach oben will und dafür Ungeheuerliches tut, letztendlich aber kein Filmstar, sondern eine Werbeikone für Herrenkosmetika wird. Das könnte satirisch und gar komisch sein, wenn wir mal davon absehen, dass es viel bessere Romane zum Thema von Nathaniel West oder Evelyn Waugh gibt und die tiefschwarzen Seiten von La-La-Land in Robert W. Campbells "Glitzerland"-Trilogie nicht mehr weiter verdunkelbar sind. Deswegen sind Stokoes völlig überflüssigen, einlässlichen, ungebrochenen, detailreichen und "gefühlsechten" Schilderungen von Nekrophilie, Zoonekrophilie, Koprophagie (schlagen Sie's doch bitte selbst nach), Autopenetration mit dafür eigens herausoperierten Nieren, das Schänden und Töten einer jungen Frau mittels Schlagbohrer - und noch ein paar andere Würgenummern mehr - keine irgendwo sinnvolle literarischen Schocks (wie auch, nach de Sades "120 Tagen von Sodom" & allen Handbüchern sexueller Devianz), sondern lediglich Überbietungsstrategien, die vom intellektuellen und ästhetischen Gehalt des Romans nicht gedeckt sind. Die Provokation steckt nicht im Text selbst, sondern sie liegt höchstens in der Chuzpe, uns so etwas als Provokation andienen zu wollen. Darauf einen starken Schnaps.

Und der Hinweis auf ein schönes, neues Comic-Projekt: Scarlet von Brian Michael Bendis und Alex Maleev (Panini): Die Leute von Oakland haben die Schnauze voll, von Korruption, Willkür, Polizeigewalt und anderen strukturellen Verheerungen. Aber nur Punk-Lady (oder so) Scarlet, deren Freund aus nichtigem Anlass von der Polizei ermordet und dann zum Drogen-Dealer stilisiert wird, greift zur Knarre und schlägt zurück. Zu einfach? Nicht, wenn die Story in so spannenden Bildern so spannend erzählt wird. Erster Teil von fünf. Mit Klassikerpotential.

 

© Thomas Wörtche, 2012

 

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