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Leichenberg 06/2015

 

Der letzet Morgen

Ein großartiger Autor, der durchweg unter dem Wahrnehmungsradar fliegt, ist Ryan David Jahn. Sein dritter, bei uns erschienener Roman Der letzte Morgen (Heyne) ist raffiniert und intelligent geplottet: James Manning, "The Man", ein Mobster Boss aus New Jersey soll aus dem Verkehr gezogen werden. Nachweisen kann man ihn nichts Handfestes, also greift die Staatsanwaltschaft zu der Al-Capone-Nummer - Sie wissen schon, die Sache mit den Steuern. In Mannings Imperium gibt es einen Verlag für Comics. Comics gelten in den USA der McCarthy-Zeit - unser Roman spielt 1952 - als jugendverderbender Schmutz und Schund. Da passt es gut, dass ein verwirrter und latent psychopathischer Jüngling seinen scheusaligen Stiefvater mit einem selbstgebastelten Schießapparat umbringt und ihn zur Tarnung so verstümmelt, wie er es in dem Comic »Down City« aus dem Manning-Verlag gesehen hat. Also kann man versuchen, Manning eine erhebliche Mitschuld wegen Verbreitung brutalisierender Pseudo-Kunst anzudrehen. Und als auch noch ein Kronzeuge gegen Manning im Zeugenschutz umgebracht und ein inzwischen als Milchmann jobbender Ex-Comic-Autor mit präparierten Beweisen als Schuldiger inszeniert wird, verschränken sich die Handlungen (es gibt noch ein paar anderem, kunstvoll eingebaute Stränge) und rasen auf ein furioses Ende zu. Wobei "Rasen" bei Ryan David Jahn nur ein Modus des Erzählens ist. Der andere ist die absolute slow motion. Jahn kann, wie kaum jemand sonst, Handlungssequenzen dehnen, Nuancen beschreiben, für den ganz genauen Blick verharren, psychische Zustände und Disposition seiner Figuren zeitlupenscharf glaubhaft machen, das war schon bei seinem Erstling »Ein Akt der Gewalt« sehr beeindruckend. Diese Erzählkunst, das intelligente Einbauen kulturhistorischer Fakten - die Comic-Story liefert auch Mosaiksteinchen zur Geschichte der Populären Kultur - und die Fähigkeit, komplexe Menschen in all ihren Facetten Träger der Handlung sein zu lassen, machen Jahn zu einem der interessantesten Autoren unserer Tage.

Miami Blues

Ein Meister der Erzählökonomie und sowieso einer der größten Autoren des 20. Jahrhunderts war Charles Willeford. Der Alexander Verlag beginnt eine (mehr oder weniger gelungen überarbeitete) Neuauflage der berühmten Hoke-Moseley-Tetralogie mit dem Klassiker Miami Blues. Hoke Moseley, der melancholische und leicht verlotterte Detective Sergeant aus Miami, spielt in diesem ersten Band noch eine etwas zurückgenommen Rolle. Im Mittelpunkt steht ein beiläufig tötender und raubender Psychopath namens Freddy, genannt Junior, der sich eher versehentlich mit Hoke anlegt. Versehen, Zufall, die Kontingenz des Daseins, das Bizarre und Groteske der menschlichen Existenz auf Erden, all das ist der große Subtext des Romans - und wie wenig man gegen so eine Konstellation mit an Fall-und-Aufklärung orientierter, formatierter Kriminalliteratur ausrichten kann. Willeford inszeniert Raum und Zeit als üble Scherzbolde, die ein Menschenleben mal eben so vernichten können, aber auch mal benevolent als poetische Gerechtigkeit auftreten. Große literarische Ironie, und spannend wie Hölle.

Der Messingdeal

Und noch ein Großmeister, den der Alexander Verlag neu auflegt: Ross Thomas. Fans werden vielleicht stolpern: Der Messingdeal hieß in der Ullstein Ausgabe von 1970 »Bonbons aus Blei« und der Name Ross Thomas stand nie auf einem Originalcover. Denn die fünf Romane um den professionellen Vermittler St. Ives erschienen unter dem Pseudonym Oliver Bleeck. Ross Thomas erzählte gerne, dass er ganz schnell diese fünf Roman schreiben musste, weil er von ein paar old Victorians in London beim Pokern furchtbar ausgenommen wurde und pleite war. Anyway, auch die fünf St. Ives-Bücher sind kleine Meisterwerke des fröhlichen Zynismus in politicis, der kreativen Intelligenz und der ultracoolen, sardonischen Lakonie.

Havarie

Also ganz das Gegenteil von Merle Krögers Havarie (Ariadne). Ein schwergewichtiges Riesenpanorama über vier Schiffe, deren Routen sich auf dem Mittelmeer kreuzen. Früher optimistisch mare nostrum, heute der Wassergraben der "Festung Europa". Kröger bevölkert ihr gigantisches Szenario mit Menschen aus aller Welt - Flüchtlinge aus Algerien in einem kleinen Schlauchboot, das mit dem Kreuzfahrtriesen "Spirit of Europe" kollidiert, auf dem sich die Globalisierung im Verhältnis von Passagieren, Schiffsführung und Bediensteten unter Deck abbildet. Ein Frachter mit dem schönen schottischen Namen Siobhan und dessen ukrainische Besatzung bringen den Maidan und selbst die Femen ins Mittelmeer und ein spanischer Seenotkreuzer versucht zu helfen, bevor ein Kriegsschiff der Guardia Civil einen ganz anderen Umgang mit den Bootsflüchtlingen exekutieren wird. Und - als narrative Klammer - inszeniert Kröger noch ein klassisches Mordsrätsel, das den Roman aber keinesfalls dominiert. Sperrig und wuchtig, politisch hochengagiert.

Querschläger

Wie grandios klassische Muster funktionieren, wenn sie dementsprechend gehandhabt werden, zeigt Querschläger (Splitter), ein opulenter Comic (jaja, eine graphic novel) von Texter Matz und Zeichner/Colorist Jef nach einem Originalszenario von Walter Hill. In einem kleinen Interview am Ende des Bandes betont der Actionspezialist Hill (Regisseuer von »The Driver«, »The Warriors«, »Southern Comfort«, »Last Man Standing« usw. usw.) wie wichtig Gewalt und notfalls exzessive Gewalt für alle Arten von crime fiction ist. »Querschläger« spielt während der Prohibition, einer Zeit, in denen sich bestimmte Verhaltensmuster der amerikanischen Gesellschaft formierten. Der freiberufliche Hitman Roy Nash wird aus dem Knast geholt, um für "Chicago" in Los Angeles ein paar Probleme final zu lösen und verwickelt sich dann doch wegen einer schönen Frau in allerlei Ärger. Wie gesagt: Klassisch. Flamboyant erzählt, brillant in Bilder umgesetzt und in grell-fahle Farben getaucht. Und ja, natürlich: in einer solch sinnenfrohen, schon wollüstig prallen und raffiniert-prächtigen Inszenierung werden Sex- und Gewalt zu den faszinierenden Kategorien, die sich seit Anbeginn der Zeiten durch alle Kulturen und alle Gesellschaften ziehen. Manche sind besessen davon. Und das artikuliert sich besonders offen in den Populären Kulturen. Querschläger können weh tun. Dieser Comic macht Spaß.

 

© Thomas Wörtche, 2015

 

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