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Leichenberg 08/2006

 

Mord auf ffolkes Manor »The Act of Roger Murgatroyd« heißt ein wunderbares Golden-Age-Pastiche von Gilbert Adair, dessen deutscher Titel bei C.H. Beck, Mord auf ffolkes Manor. Eine Art Kriminalroman, den Gag natürlich versemmelt. Aber wer Roger Ackroyd wirklich umgebracht hat, hatte ja schon dunnemals niemanden interessiert. Anyway, Gilbert Adairs extrem vergnüglicher Roman über Morde in einem abgelegenen Landhaus in Dartmoor, nebst locked-room-mystery, ist einerseits ein fröhlicher Schleudergang durch die beileibe nicht nur kriminallitarerische Literaturgeschichte. Jack London, Patricia Higshmith, die Bloomsburys, Donald Duck, Dashiell Hammett und jede Menge einschlägiger Gestalten tauchen elegant verteilt und in verschiedenen Verkleidungen in der Handlung auf. Aber nur harmlos und vergnüglich ist das Büchlein eben nicht. Adair expliziert nämlich die ganzen unappetitlichen gesellschaftspolitischen und sozialpolitischen Implikationen des Agatha-Christie-Musters - das gnadenlose Klassendenken, die Xenophobie, Homophobie, der Rassismus und Antisemitismus. Bei Adair wird all das zum Thema, lauthals und von den netten verschrobenen Figuren einvernehmlich gebilligt. Das macht aus dieser Art von Kriminalroman eine ziemlich giftige, böse Angelegenheit. Und das Ganze auch noch leicht, aber rasend gut inszeniert. Ein sehr intelligentes Stückchen Auseinandersetzung mit einer nicht unproblematischen Tradition von »Krimi«. Und natürlich in viel, viel besserer Prosa, als la Christie sie je hinbekommen hätte.

Im Auftrag seiner Majestät Das krasse Gegenstück heisst: Im Auftrag Seiner Majestät. Ein Dandy ermittelt und stammmt von dem Schauspieler Mark Gattis (Blanvalet). Der Dandy ist Porträt-Maler - hallo, Oscar Wilde, hallo Dorian Gray - arbeitet nebenbei für den königlichen Geheimdienst im Spät-Spätviktorianismus 1907, wohnt in der Downing Street und reiht einen grobschlächtigen Scherz an den anderen und walzt jeden Gag aus, bis er quiekt. Ach, Oscarchen!

Und weil wir es gerade mit Anspielungen zu tun haben: »Citizen Vince« heißt im Original der Roman von Jess Walter, bei uns nichtssagend Die Agenda (Heyne). Was für ein wunderliches Buch: Vince Camden ist im Zeugenschutzprogramm des FBI und versucht, ein neues Leben zu leben, in der tiefsten Provinz. Plötzlich taucht eine Mafiafigur aus seiner früheren Existenz in New York City auf und Camden muß reagieren. Wie er reagiert, wie er versucht, ein anständiger Mensch zu werden und zu bleiben, das erzählt uns Walter auf wundersame, fast märchenhafte Weise - lakonisch, sehr witzig, manchmal schockhaft brutal, mal mit viel Sentiment, aber ohne Sentimentalität. Und dennoch sehr, sehr amerikanisch, sehr, sehr politisch. Der Roman spielt 1980, während der letzten Tage des ekligen Wahlkampfs von Reagan gegen Carter. Für Walter eine Gezeitenwende (was sich ex post ja noch leichter behaupten läßt), die er mit einer geballten Ladung Moral und Didaxe kontert. Das ist das wirklich wunderliche an diesem schönen Roman - dass es funktioniert. Und notfalls gegen die Ratio im Hirn des Lesers.

Phantastische Wirklichkeit Das allererstaunlichste Buch allerdings kommt von der DVA: Phantastische Wirklichkeit. Das 20. Jahrhundert im Spiegel des Polit-Thrillers von Hans-Peter Schwarz. Kein Ross Thomas, kein Len Deighton, kein Robert Littell, kein Charles McCarry, dafür Clive Cussler, Colin Forbes, Paul E. Erdman und Robert Ludlum. Das sind keine Geschmacksfragen, das sind Kompetenzfragen. Gleich im ersten Absatz deliriert Schwarz vom Kriminalroman von »Conan Doyle bis Elisabeth George«. Das ist das ganze Buch in nuce: Die Literatur des 20. Jahrhunderts von Kafka bis Uta Danella. Das allererstaunlichste an dem Werk ist, dass es tatsächlich gedruckt worden ist.

 

© Thomas Wörtche, 2006

 

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