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Leichenberg 09/2006

 

Illustrierte Bibliographie der Kriminalliteratur im deutschen Sprachraum von 1796 bis 1945 Allmählich kann man schon die Uhr danach stellen: Die wirklich interessanten Sachen passieren ausserhalb des Mainstreams. Das Schisma zwischen »Markterfolg« und Qualität wird immer schärfer und verspricht vielleicht sogar irgendwann umzukippen. Dann, wenn dem Mainstream dereinst aufgehen wird, dass man auch mit Qualität Geld verdienen kann.
      Nehmen wir zum Beispiel Mirko Schädels Illustrierte Bibliographie der Kriminalliteratur im deutschen Sprachraum von 1796 bis 1945, erschienen in Schädels eigener Achilla Presse. Zwei typographisch hervorragend und auch sonst nach allen Regeln der Buchkunst grandios hergestellte Bände im Schuber - das reine ästhetische Vergnügen mit unverzichtbarem Inhalt. 8981 Positionen listet die Bibliographie auf: ein Forschungsfeld ohnegleichen für die Literaturwissenschaft. Unendliche »Minen & Quellen« für jedes faktengestützte Nachdenken über spezifisch deutsche Kriminalliteratur und zudem, wegen der vielen Cover-Abbildungen, ein buchwerbungshistorischer Steinbruch. Halten wir kurz die Luft an: Das Projekt kostet 175.- ¤, aber für solche Qualität ist kein einziger Cent verplempert. Der Kalkulator manchen Publikumsverlags mag sich in den Allerwertesten beißen, was man mit diesem Projekt und den entsprechenden Vertriebswegen alles hätte ... Jaja!

Zappas letzter Hit Frank Göhre war schon immer ein eher sparsamer Prosa-Autor - und ein ganz vorzüglicher sowieso. Also freuen wir uns sehr, dass es jetzt einen neuen Roman gibt: Zappas letzter Hit. Erschienen nicht mehr in Göhres Traditionsverlag Rowohlt, sondern bei Pendragon. So ein Wechsel von Großverlag zu Kleinverlag hat heutzutage meistens mit Qualität und Originalität zu tun, die dem Großverlagsmarketing unheimlich sind. Hier auch: Denn Göhres Fortsetzung seiner Kiez-Trilogie aus den 90s, ist ein formal ungewöhnliches und hervoragendes Stück Kriminalliteratur auf der Höhe der Zeit. Göhre verknüpft Zeitgeschehen und Thriller eng anhand der Hamburger Lokalpolitik, bindet seine Geschichte an starke Figuren, die wiederum typologische Ähnlichkeiten mit echten Akteuren der Polit- und OK-Szene haben (Schill, die Nachwehen der Pinzner-Affäre etc.) und läßt dadurch den Gedanken an bloßen Regionalismus gar nicht aufkommen. Es geht ihm nicht um die Abschilderung von Realität, sondern um das Arrangement von präzisen Realien mit den Mitteln der Literatur. Und die sind adäquat dem Sujet angepaßt und stammen nicht aus der Rumpelkiste der angeblich »Hohen Literatur« und deren angeblich überzeitlicher Sprache. So sollen Kriminalromane sein: Erzählungen von Menschen, die sich in einer Umwelt bewegen müssen, in der sie nunmal aus verschiedenen Gründen leben. Nix Sensationelles, aber auch nix Kuscheliges, nix Monströses, aber auch nix Beschwichtigendes. Der extreme thrill des ganz normal Wahnsinnigen, durch den wir alle durchmüssen.

Die Süße des Lebens »Zappas letzter Hit« markiert so deutlich den Unterschied zu einem Buch, das möglicherweise ein schöner Roman ist, aber nur so tut, als sei es ein Kriminalroman: Die Süße des Lebens von Paul Hochgatterer (Deuticke). Ambitionierte Literatur, die von Anfang an vor dem Konkreten zurückscheut: »Das Kind« , »der Großvater«, »Er« - so abstrakt entworfene Figuren dienen dazu, einer These über die Welt eine Kriminalhandlung zur Illustration beizuheften. Nicht die narration schafft diese These oder steht für sich selbst, sondern sie folgt einem schon vorher festgelegten Zweck. Und das ist, hat man den Mechanismus entdeckt, dann doch eine mehr oder weniger formale Übung.

Ganz anders Michael Robotham: Amnesie (Goldmann). Ein Londoner Detective Inspector wacht angeschossen mit Gedächtnisverlust im Krankenhaus auf und muß die letzten Tage seines Lebens rekonstruieren. Das ist nicht sehr originell, aber extrem originell gemacht. In den Abwässerkanälen, da wo`s am schmutzigsten ist, leuchtet am Ende des Tunnels das Licht der Aufkärung einer ziemlich üblen Familientragödie im Milieu der russischen Mafia, die fein mit dem England unserer Tage verknüpft ist. Das kann man symbolisch lesen, muß es aber nicht, weil die Handlung von Robotham erfreulich robust und handfest genug ist, um für sich zu stehen.

 

© Thomas Wörtche, 2006

 

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