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Leichenberg 07/2006

 

Die kalte Legende Das einzig Betrübliche ist der deutsche Titel: Die kalte Legende (Scherz) heißt im Original Legends, und genau darum geht es in dem neuen Roman von Robert Littell - um die verschiedenen Legenden, die ein Geheimagent verpaßt bekommt und die, je nach Rolle, seine Persönlichkeit so okkupieren, dass ein authentisches »Ich« völlig verschwindet. Littell ist ein unglaublich gutes Buch gelungen, ein wahres Meisterwerk, obwohl man mit solchen Prädikaten wahrlich vorsichtig umgehen soll. Sein Held besteht aus mindestens drei völlig verschiedenen Personen, eine hat ein furchtbare Gedächtnislücke, und alle drei müssen ihre Fähigkeiten mobilisieren, um die Lücke zu schließen. Und alle drei müssen zusammenarbeiten, damit am Ende nicht die Liquidation durch den Arbeitgeber CIA steht. Littell inszeniert diese Geschichte des fröhlichen Einrichtens in der kreativen Identitätslosigkeit eben nicht als Suche nach dem eigenen, wirklichen Ich, weil er weiß, dass ein solcher Weg in den intellektuellen Kitsch führen kann. Statt dessen zeichnet er ein böse und sarkastisch komisches Panorama der 90er Jahre von Jelzins Rußland über Nahost bis zum frühen Bin Laden. Die literarische und intellektuelle Virtuosität Littells ist dabei schlicht bewunderswert. Ein Buch und ein Autor, die die Relationen zwischen dem, was ein grosser Roman sein kann, und dem ganzen mediokren Zeug von Wilson, Eisler, Kanon und dem ganzen skandinavischen Polit-Gedödel, an das wir uns schon fast gewöhnt hatten wie an Magerkost, energisch zurechtrücken. Grandios!

Ticket nach Tanger Erstaunlicherweise gibt es auch einen Parallel-Roman: Ticket nach Tanger von Jenny Siler (Fischer Tb). Ein ähnliches Thema: Eine junge Frau erwacht auf einem Acker in Frankreich, hat keine Erinnerung und zieht sich in ein Kloster zurück. Als alle Nonnen liquidiert werden und sie nur durch Zufall überlebt, muß sie sich ernsthaft daran machen, wirklich herauszufinden, wer sie war. Und das ist nicht schön, weil sie nicht ist, was sie war. Schön ist aber, dass Jenny Siler, wie wir schon von zwei anderen Romanen wissen, eine ganz wunderbare Erzählerin ist. Stil- und timingsicher, ökonomisch, unaufgeregt, klug und mit Stoffen, die zu erzählen sich lohnen. Die Identitätskrise der USA - aus zwei völlig unterschiedlichen Perspektiven mit ähnlichen Geschichte erzählt, das ist eine verblüffende Koinzidenz, die in den Fällen Littell und Siler nichts mit Marketing-Strategie oder Kalkül zu tun hat, sondern mit üblen Realitäten, auf die gute Literatur reagieren muss. Voilà!

Wilder Winter Und ein Texas noir, wobei wir nie vergessen wollen, dass auch dem roman noir eine amerikanische Erfindung zugrunde liegt: Wilder Winter von Joe R. Lansdale, der chronologisch erste Roman der Hap-Collins-&Leonard-Pine-Serie (Original: 1990) jetzt erstmals bei Shayol. Wie ein guter französischer néopolar ein durch und durch politisches Buch, in dem Lansdale die selbstverschuldete und selbstgefällige Realitätsuntüchtigkeit der Aktivisten der 60er Jahre wütend kommentiert. Wie immer bei ihm mit einem Schuß Grand Guignol und hervorragenden, witzigen, coolen Dialogen, die der biedersinnigen Verlagslandschaft und der dito pc-Gemeinde die Haare zu Berge stehen lassen. Man kann schon fast sagen: Weil Lansdale ein wirklich Großer ist, darf er bei einem Kleinverlag erscheinen.

Wie regressiv unsere eigene kriminalliterarische Landschaft zur Zeit ist, zeigt weniger Jörg von Uthmanns Killer, Krimis, Kommissare. Kleine Kulturgeschichte des Mordes (C.H. Beck) selbst - eine der üblichen ahnungslosen Kompilationen auf dem Kenntnis-, Erkenntnis- und Reflexionsstand von 1950, sondern die flächendeckenden Beweihräucherung dieses Werkleins als kenntnisreich und kompetent. Das ist nur ärgerliches Geplapper, schlimmstenfalls nicht mal wider besseres Wissen.

 

© Thomas Wörtche, 2006

 

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