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Leichenberg 08/2018

 

Das Mädchen aus Mailand

Zurzeit herrscht ein bisschen Retromania auf dem deutschsprachigen Markt für Kriminalliteratur. "Klassiker" werden "wiederentdeckt" und trotz des ökonomischen Risikos (schließlich ist der Markt dank der 0,01 plus 3,00 € Versand-Angebote ziemlich gesättigt) wiederaufgelegt. Das ist höchst zwiespältig. Sinnvoll ist daran, dass für eine bestimmte Klientel eine Art Bewusstsein für die Genre-Geschichte entstehen könnte, obwohl das ganze breite Publikum sich vermutlich (neee, definitiv, denn das sagen die Zahlen) einen feuchten Pfifferling dafür interessiert. Weniger sinnvoll sind zwei Implikationen dieser Praxis: Ein solch relaunchter "Kanon" schreibt die Persistenz von Autor*innen fort, ohne sich auf eine mögliche Qualitätsdiskussion einlassen zu müssen (Nebenwerklein von Rex Stout etwa gehören dahin oder der mehr als problematische Colin Dexter). Betrüblicher allerdings ist, dass damit Programmplätze für junge, neue innovative, aufregende, riskante und originelle Ansätze verstopft werden, die es sowieso zunächst nicht leicht haben, aber sicherlich zu den Klassikern von (über)morgen zählen werden. Der langweilige, ästhetisch ausgeleierte Mainstream von gestern (als man noch zu wissen glaubte, "was ein Krimi ist") dient so als historische Rückendeckung für den langweiligen, ästhetisch ausgeleierten Mainstream von heute (wo man angeblich weiß, "was geht und was nicht geht"), der dann in der Tat die Wiederkehr des Immergleichen ist. Was wiederum nicht heißt, dass es nicht innovative und originelle Texte gibt, die ihrer Zeit voraus waren und immer noch produktionsästhetisch relevant sind. Dazu gehören die Ross-Thomas-Ausgabe beim Alexander Verlag, James McClure beim Unionsverlag und jetzt Giorgio Scerbanencos Duca-Lamberti-Romane bei Folio.

Die Verratenen

Giorgio Scerbanenco (1911-1969) Spross einer ukrainischen Immigrantenfamilie und als Journalist und Schriftsteller in jeder Art von Textproduktion zuhause, hatte mit seinen vier Duca-Lamberti-Romanen nicht nur der bis dahin ephemeren italienischen Kriminalliteratur (Ausnahmen wie Leonardo Scascia und Carlo Emilio Gadda bestätigen die Regel) Stimme und Gewicht gegeben. Zwei davon liegen bis jetzt vor: Das Mädchen aus Mailand und Die Verratenen (beide mit sehr instruktiven und klugen Nachworten von Giancarlo de Cataldo resp. Tobias Gohlis ausgestattet). Duca Lamberti ist ein Arzt, der wegen aktiver Sterbehilfe im Gefängnis war, seine Approbation verloren hat und aus verwickelten Gründen für die Mailänder Polizei arbeitet. Mailand ist eine weitere "Hauptfigur" des Quartetts (1966 - 1969), eine wirtschaftliche boomende Stadt, in die die Nachkriegsmoderne mit allen Konsequenzen Einzug gehalten hat, und zu deren DNA Gewalt und Verbrechen auf allen gesellschaftlichen Ebenen gehören. Und die dennoch nicht geschichtsfrei geworden ist - davon erzählt "Die Verratenen". Ein fieses Verbrechenpärchen wird ersäuft, warum das so passiert, liegt an Ereignissen während des Faschismus und des Zweiten Weltkriegs, als man mit Verrat fröhlich Karriere machen konnte und auch im neuen Italien weit kommt. Denn auch die neue Bourgeoisie verlangt nach Profit, egal, ob der aus dem Waffenhandel oder aus Erpressung, Zwangsprostitution und Pornographie stammt, davon handelt "Das Mädchen aus Mailand". Verbrechen ist bei Scerbanenco stets präzise kontextualisiert und vor allem so konstitutiv für die beschriebene Gesellschaft, dass der Kampf dagegen von vornherein aussichtslos ist. Das weiß auch Duca Lamberti, dennoch stürzt er sich ins Handgemenge - er hat sowieso nichts mehr zu verlieren. Seine Methoden sind mehr als fragwürdig, seine moralisch-ethischen Grauwerte erheblich, hard-boiled im Sinne von mentaler Härte, gar Grausamkeit. Dennoch ist er nicht auf eine eindeutige Position irgendwo zwischen Vigilantismus und Legalismus festzunageln. Das liegt an der Prosa Scerbanencos, ein eleganter, schneller und virtuoser Mix aus personalem und auktorialem Erzählen, der alle Möglichkeiten dieses Ansatzes ausreizt. Das Changieren der Erzählperspektiven bis in die Satz-Ebene erlaubt das Einschieben von Kommentaren, kalten Lakonismen, grimmiger Komik, tiefsinniger Reflexion und intelligenter Dialoge. Es verhindert aber vor allem eine vereindeutigende Lesart. Scerbanenco stellt so alle Möglichkeiten des Umgangs mit Gewalt und Verbrechen zur Disposition, auch und gerade die von Duca Lamberti. Das ist unbequem, manchmal prekär, aber auf jeden Fall provokant und riskant. Mehr noch: Duca Lamberti ist eine Figur, die identifikatorisches Lesen bewusst und intentional blockiert, weil er konsistent inkonsistent angelegt ist. Das macht seine Faszination aus und seine auch heute noch aktuelle Modernität: Optionen und offene, böse Fragen statt Lösungen oder falsche Konsensangebote.

Italienische Intrige

Der direkte Einfluss von Scerbanenco ist am deutlichsten bei Carlo Lucarelli zu beobachten. Dessen Figur Commissario de Luca ist ein historisierter Verwandter von Lamberti. Nach einer Pause von fast 21 Jahren (wenn ich richtig sehe) belebt Lucarelli in Italienische Intrige (Folio, kein Zufall) den Polizisten wieder, der im Faschismus und in der Italienische Sozialrepublik (bei uns bekannter als Republik von Salò) schon im Amt war. Jetzt, 1953, geht es um extrem unappetitliche anti-kommunistische Aktionen der italienischen Geheimdienste im eingeschneiten Bologna, die auch geschichtliche Verbindungen zum Faschismus haben. Staatskriminalität mit Mord vom Ekligsten. Und mitten drin der undercover operierende De Luca, der trotzig den Mord an einer Frau aufklären will, der eigentlich von offizieller Seite nur ein Kollateralschaden sein soll. De Luca fühlt sich zurecht instrumentalisiert und versucht sich in einer Art Schubumkehr. Mit düsteren Bildern von Eis, Schnee und Kälte zeichnet der Roman ein deprimierendes Bild eines alles andere als bella Italia - eine Art rechtsfreier Raum, intransparent, menschenverachtend, von Partialinteressen geleitet. Auf jeden Fall irritierend und wenig ausrechenbar. Und deshalb schon fast ein Kommentar zu den heutigen Verhältnissen.

Teuflische Saat

Andrew Browns Teuflische Saat (btb) rückt den heutigen Verhältnissen mit einer feinen Mischung aus Satire, Märchen und Polit-Thriller zu Leibe. Subtext ist die Lage im Südsudan, Stand 2014 (da ist der Roman entstanden), die Hungersnot, der Bürgerkrieg, die ethnischen Konflikte und vor allem die mörderische Einflussnahme des Sudans in den Grenzregionen. In diese humanitäre Katastrophe stolpert der britische Botaniker Gabriel Cockburn von der Uni Bristol. Cockburn ist am Anfang ein typischer englischer Spießer, pedantisch, engstirnig, ein Fachidiot, der sich elitär dünkt, schon beinahe eine Karikatur. Und der sich plötzlich mit den verwickelten afrikanischen Verhältnissen konfrontiert sieht und dabei verstehen muss, dass diese Verhältnisse wesentlich auch von Europa gemacht werden. Zum Beispiel von der britischen Rüstungsindustrie, die, um potentielle Kunden zu akquirieren, ihre neuesten Mörder-Drohnen gerne auch Scheusalen zur Verfügung stellt, aber gleichzeitig panische Angst vor schlechter Presse hat. Inmitten von Leichenhalden wird Cockburn vom Saulus zum Paulus, eine beeindruckende, tapfere Frau ist an dieser Entwicklung nicht unbeteiligt. Der Roman des südafrikanischen Autors und Menschenrechtlers Andrew Brown konfrontiert die brutalen Realitäten dieser Welt mit dem Prinzip Hoffnung, mit "poetischer Gerechtigkeit". Und weil er das nicht nur subkutan tut, sondern durch Überzeichnung offenlegt, ist "Teuflische Saat" kein politisches Statement im literarischen Gewand, sondern ein literarisches Statement zur globalen Politik.

Leichte Beute

Dieses Prinzip gilt auch für die Graphic Novel Leichte Beute von Miguelanxo Prado (Carlsen). Die Geschichte dreht sich um die "Bankenkrise" in Spanien, um die ungeheure Umverteilung von unten nach oben, als gierige "Finanzprodukt"-Spekulateure große Teile der Bevölkerung mit irrwitzige Betrugsmanövern um Hab und Gut und nicht selten um die Existenz brachten. Verzweiflungsselbstmorde häuften sich, den Opfern wurde ein schnödes "selber schuld" entgegengehalten. Bei Prado tauchen plötzlich Leichen von Bankmitarbeitern auf, artig nach dem Organigramm großer Schurkenbanken sortiert. Ein Serial-Killer wäre für die Hierarchen die wünschenswerteste Lösung (soweit hat es dieses Narrativ schon gebracht), aber Kommissarin Olga Tabares und Sidekick Sotillo graben tiefer und stoßen auf eine erstaunliche und vor allem radikale Gang. Natürlich schäumt Prado vor Wut über den Ruin seines Landes, transformiert diese Wut aber in eine extrem disziplinierte Ästhetik. Das konsequente Grau-in-Grau seiner Bilder, die rigiden, strengen und undurchlässigen Panels signalisieren eine Ausweglosigkeit, eine fatale Zwangsläufigkeit systemischer Prozesse, gegen die die "Aufklärung" einer Mordserie so folgenlos bleiben wird, wie einer der Täter in einem flamboyanten Plädoyer voraussagt. Großartig.

Der Privatsekretär

Nochmal Politik - Claudia Piñeiro in Hochform: Der Privatsekretär (Unionsverlag). Im tongue-in-cheek-Modus erzählt sie die wundersame Geschichte eines Fluchs, der argentinische Politiker trifft, wenn sie Staatspräsident werden wollen, vorher aber Provinzgouverneur von Buenos Aires waren. Diesen Fluch hatte dunnemals eine Hexe namens "la Tolosana" ausgesprochen und natürlich dementiert jeder heute aktive Politiker, dass so etwas überhaupt eine Rolle spielen könnte. Deswegen führt auch der Populist Fernando Rovira ganz andere, rational anmutende Gründe an, die große Provinz Buenos Aires (die nicht ganz deckungsgleich mit der Megacity ist) zu zerstückeln. Rovira ist ein Charismatiker und Menschenmanipulator von Gnaden, dem auch junge Román Sabaté auf den Leim geht. Der macht nämlich plötzliche Karriere in Roviras Bewegung "Pragma", wird gar zu dessen Intimus, eben zum Privatsekretär, wenn auch aus anderen Gründen, als er zunächst vermutet. Und als er merkt, welchem mörderischen Typen er auf den Leim gegangen ist, versucht er unter Aufbietung aller massenmedialen Mittel aus der Nummer herauszukommen. Der Fluch der Hexe und allerlei andere magische Praktiken sind für Piñeiro der ideale Aufhänger, sich über das Irrationale in der Politik lustig zu machen, die Rationalität stets nur behauptet. Trotz aller Algorithmen, Statistiken, Rechenmodellen, Consultants, Spin Doctors, strategischer Fakes News und korrupter Medien - darunter kommt blanker, machohafter Atavismus zum Vorschein. Am Ende steht das Bild eines sehr symbolisch pinkelnden Kindes. Mehr Kommentar geht nicht.

Krokodilstränen

Mercedes Rosende aus Uruguay ist mit Krokodilstränen (Unionsverlag) jetzt auch bei uns angekommen. Was anfängt wie ein klassischer Kleinkriminellerlumpiloserroman dreht sich allmählich in Richtung UnterschätztbloßkeineFrauenroman. Die eine anfangs unterschätzte Frau heißt Úrsula López und dieser Name ist dann doch nicht so einzigartig wie andere Leute glauben. Die andere unterschätzte Frau ist Leonilda Lima, eine Polizistin, die sich von ihren männlichen und deswegen ziemlich aufgeblasenen Vorgesetzten herumschubsen lassen muss. Dazwischen torkelt Germán herum, der Volltrottel par excellence, der so gar nichts auf die Reihe kriegt und das noch nicht mal richtig. Auch die anderen Männer, und wenn sie noch so tolle, brutale, mörderische oder sonst wie kriminelle Hechte sind, haben gegen die Ladies nicht den Hauch einer Chance. Ein paar Morde, Entführung und ein klassischer Geldraub in einem als abgestrapst und schäbig geschilderten Montevideo lassen Echos des französischen Noirs der 1960er und 1970er Jahre hören, dienen aber auch der stillvergnügten und ziemlich komischen Demontage der genretypischen Gender-Klischees, ohne dass Rosende daraus groß ein Thema machen würde. Sie macht es einfach, by doing. Und so gelingt es ihr auch spielend, wie ihren lateinamerikanischen Kolleginnen Patrícia Melo, María Inés Krimer und Claudia Piñeiro der elenden Borges-Falle zu entgehen, in der noch viele männliche Autoren aus der Region nolens volens festzusitzen scheinen (auch noch in der direkten Konfrontation, wie Marcelo Figueras, etwa). Neue humor- und witzbegabte Töne vom Rio de la Plata. Sehr willkommen.

Wer sich in die Provinz begibt, kommt darin um

Gary Dexter mit seinem "Marodeur von Oxford" und Laurent Binet mit der "Siebten Sprachfunktion" haben mit ihren Books-on-Books oder, vornehmer ausgedrückt, mit ihren Meta-Krimis die Latte vor ein paar Jahren ganz schön hochgelegt. Jetzt versuchen sich gleich zwei deutsche Autoren an so etwas in dieser Richtung. Da ist einmal Jens Schäfer mit Wer sich in die Provinz begibt, kommt darin um (Ullstein). Selfmade Privatdetektiv Leo Donat (zu Scherzen mit Namen kommen wir später) wird von einem Regionalkrimi-Verleger/Programmchef angeheuert, verschwundene Autorinnen und Autoren dieses beklagenswerten Subgenres aufzustöbern, die aber allesamt werk-gerecht (sozusagen als Pastiche) in ihren jeweiligen Provinzen von der Pfalz bis an die Ostsee schon längst gemeuchelt sind. Dahinter steckt natürlich, wir ahnen es früh... ach, nee, wird nicht verraten, ist eh ein deus ex machina (resp. so etwas witternd, evident). Jetzt fängt das Grübeln an: Ein Meta-Regionalkrimi, also ein Krimi über "die Bedingungen der Möglichkeiten von...", um eine alte "Poetik und Hermeneutik"-Denkfigur zu zitieren? Eher nicht, denn zur Poetik und Ästhetik des Regiokrimis gibt es nichts, nur ein paar allgemeine Rundschläge zum "Milieu" beziehungsweise zum vermuteten Literaturbetrieb und zu blöden/bösen Verlagen, die eher auf lustigen Fantasiebildern denn auf wirklichen Umständen basieren. Ist schon okay. Eine Parodie? Dann müsste der Text mit parodistischen Techniken arbeiten, also mit "Übererfüllung" oder "Untererfüllung" oder "ungemessenerer Kontextualisierung" oder irgendwas in der Richtung, zumindest aber mit Komik. Das tut er genau nicht. Er ist genauso bieder und brav (und un-komisch) gedacht und erzählt wie jeder durchschnittliche Regio-Krimi auch, nur dass dieser hier halt Regio-Krimis zum Thema hat. Und schon gar keine Parodie ist das Buch, weil es keinen Angriffspunkt, kein kritisches Moment hat, weit und breit nicht. Pastiche? Auch nicht, wer will schon ein Pastiche auf eine ästhetisch karge Formel schreiben? Und warum? Also eher eine nette, harmlose Hommage an ein nur im besten Fall nettes Subgenre. Aber auch da: warum?

Helden der Nacht

Weitaus cleverer stellt sich zum anderen Karl Wolfgang Flender an: Helden der Nacht (Dumont). Das ist tatsächlich eine Hommage an die gute, alte Privatdetektiv-Figur, wie sie einmal war und nie wieder sein wird. Das ist auch Thema des Buches, in dem eine App namens Detectify (jeder kann detektieren) und andere Misslichkeiten der digitalen Welt so ziemlich alles kaputt macht, was den Zauber der Welt ausmacht. "Für die Möglichkeit des Detektivs an sich", lautet, der wenn auch gelallte Kampfruf des Helden. "Das ist seine wahre Mission: Er muss das Geheimnis retten... Es ist das letzte Aufbäumen der alten Welt gegen die neue, das letzte Gefecht". (Wir kennen diesen Gedanken von Jacque Silette, dem fiktiven Mentor von Sara Grans Claire DeWitt) Ach ja, wie nostalgisch, wenn nicht auch diese Nostalgie schon wieder sehr ironisch rüberkäme. Deswegen ist das Universum von Flender auch von Figuren bevölkert, die mitten in Berlin Mahlow heißen oder Spadow oder Caligula Fox oder Ivy Krakowski, die weibliche Heldin Colleen McCollum, der Held Bryan Auster, der Oberbulle Bloke Hoseley (ja, er klappert mit dem Gebiß). Der schönste Running Gag ist Colleen McCollums Sidekick Daniel oder Darius oder David oder, bitte kompletieren Sie andere D-Namen selbst. Beinahe jede Szene liefert eine Anspielung oder ein Zitat, oft albern, aber meistens sehr intelligent, und nur sehr übellaunige Menschen kämen auf die Idee, darin den ausgekippten Zettelkasten eines Schlaumeiers zu sehen. Den Ball spielt er sehr clever zurück: Indem wir das alles erkennen und dechiffrieren (wollen), sind wir genau so kleine geltungssüchtige eitle Schlaumeier, mindestens. Und das macht Spaß. Eines allerdings passt nicht ganz. "Helden der Nacht" ist in der Tat eine großartige Hommage an die großen Detektivfiguren der Literaturgeschichte, aber dass hin und wieder ausgerechnet der TATORT als Referenztext herhalten muss - die Antithese zu den mythischen Figuren per se - ist zwar oft witzig, stellt aber eine Augenhöhe her, die ich eher skeptisch sehe. Aber nu... Ach ja, und dann gibt es da ja auch noch eine richtige, robuste Handlung mit Rechten, durchgeknallten dot.com. Investoren, Sex-Kram, Spinnern und Echsenmenschen, die manchmal ein bisschen auswuchert und ausleiert, aber sichtlich den Spaß abbildet, den man hat, wenn man noch einen draufsetzt und noch einen und noch einen. Vor Nachahmung allerdings wird dringend abgeraten.

Pik-Bube

Meta ist auch ein kompaktes kleines Exerzitium in American Gothic von Joyce Carol Oates: Pik-Bube (Droemer). Andrew J. Rush, Bestsellerautor, ist "der Stephen King für den Bildungsbürger", dieses Etikett schmeichelt zwar seinem Bankkonto, aber recht eigentlich nicht seinem Ego (naja, ein bisschen schon). Also erfindet er sich neu, als "Pik-Bube", ein Pseudonym so fest geschlossen, dass nur er selbst davon weiß. Pik-Bub schreibt Slasher-Trash, widerlich, geschmacklos, politisch unkorrekt, schmuddelig, eklig und ultrabrutal. Das Lesepublikum liebt es (Stephen King nicht) mehr als die belanglosen Andrew. J. Rush-Schmöker. Und so schleicht sich allmählich auch die fiktive Pik-Bube-Persönlichkeit in das Wesen von Rush ein. Was nicht gut gehen kann, ganz und gar nicht. Zumal Rush plötzlich beschuldigt wird, seine Plots und Ideen von einer in der Öffentlichkeit völlig unbekannten Hobby-Autorin geklaut zu haben. Was gar nicht mal so falsch sein könnte - oder auch nicht. So demontiert Oates in wohldosierten Referenzpartikeln von Edgar Allan Poe bis Stephen King die Existenz eines sich auf der sicheren Seite des Erfolgs wähnenden, selbstgefälligen und saturierten Autors ohne Substanz, dessen Fassade irgendwann nicht mehr länger aufrecht zu erhalten ist. Maliziös, amüsant, realitätstüchtig (wer lange genug in diesem Betrieb arbeitet, der kennt sie, diese Typen) und sehr bissig.

 

© Thomas Wörtche, 2018

 

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