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Leichenberg 10/2018

 

Dann sei wenigstens vorsichtig

Einen wirklich schlechten Roman von Ross Thomas gibt es nicht. Aber wenn ich nach dem schwächsten gefragt würde, wäre Dann sei wenigstens vorsichtig (Alexander Verlag) sicher mein erster Kandidat. Wie gesagt, stets in Relation. Der erste Satz ist ein Klassiker: "Es begann so, wie das Ende der Welt beginnen wird: mit einem Telefonanruf um drei Uhr früh". Auch die Hauptfigur, diesmal mit dem unwahrscheinlichen Namen Decatur Lucas ausgestattet, ist eine typische Ross-Thomas-Figur: Historiker, Rechercheur und Spezialist für die hohe Kunst der Korruption. Das Original, "If you can't be good", ist 1973 erschienen, spielt also zur Zeit der Watergate-Affaire und deshalb sind auch größere Teile der Handlung im Watergate-Gebäude angesiedelt. Decatur soll für einen Mud-Digger-Kolumnisten herausfinden, warum ein Senator bestechlich ist und wühlt sich deswegen in eine ziemlich horrible Familiengeschichte. Seltsamerweise bleibt der Roman aber, für Ross Thomas ungewöhnlich, auf dieser Schiene, die sich eher wie ein Ross Macdonald-Roman liest, eben mit Decatur Lucas als mehr oder weniger klassischem Privatdetektiv, und - obwohl es natürlich genug maliziöse Kommentare und Beobachtungen aus dem Washingtoner Politik-Betrieb gibt - ohne die normalerweise toxischen und ätzenden Twists. Irgendwie drängt sich der Eindruck auf, als ob der Großmeister des politischen Thrillers sich einmal an einer pi-novel versuchen wollte, die jedoch für seine Standards unterkomplex ist. Und so erklärt sich vielleicht auch, dass sich die für dieses Sub-Genre oft topische Misogynie einschleicht; eine Untugend, deren sich Ross Thomas ansonsten nicht schuldig gemacht hat. Ein irgendwie unbalancierter, unfertiger Roman, aber wie gesagt: Nur für Ross-Thomas-Verhältnisse.

Das Alphabet der Schöpfung

I.L. Callis' Roman Das Alphabet der Schöpfung (Emons) ist ein wunderliches Buch, an dem man durchaus sein guilty pleasure haben darf, wenn man bereit ist, ein erhebliches sacrificium intellectus zu riskieren. Die uralte Geschichte vom Menschen, der sich überhebt und in der Schöpfung herumpfuscht wie weiland Victor Frankenstein - diesmal, natürlich, mittels Gentechnologie, Genome Editing und allerlei anderer Techniken mehr, die die Autorin so auffährt, dass sie sich plausibel anhören, aber für Nicht-Spezialisten unerkennbar richtig sind oder auch nicht. Was aber auch egal ist. Ein fröhlich-fieses Unternehmen für Gen-Technik namens "Phoenix" züchtet eine Art Hybrid-Wesen, Hominiden aus Affe und Mensch, die natürlich bald Ärger machen, aus ihrem Habitat im Spandauer Forst (yep) ausbrechen und Leute wegschnabulieren. Aber der Hit ist: Ötzi - das weiß man doch - hatte einen jugendlichen Begleiter, Iceboy, aus dessen genetischem Material die Phoenix-Leute einen echten Steinzeitmenschen klonen, mitsamt seines 5000 Jahre-Gedächtnisses. Lazarus heißt der arme Kerl, der sich jetzt plötzlich mitten im 21. Jahrhundert befindet und um sich beißt, was man ihm nicht verdenken kann. Und der, weil die Firmenleitung aus unklaren Gründen den Skandal fürchtet, obwohl es ihnen doch nur um die "Reproduzierbarkeit der Welt" geht, zusammen mit seinen Hominid-Kumpels entsorgt werden soll. Dagegen hat aber der investigative Journalist Alexander Lindahl etwas, den der Dr. Moreau'sche Firmenchef Max van Damme sich in die Firma geholt hat, um Top-Propaganda für Phoenix zu machen. Gähn, wie originell. Das Ganze ist lustig dramaturgisch ungelenk, gespickt mit allerlei Schurken aus dem Besetzungsbüro für Stereotype, rauschgiftsüchtigen Mad-Scientists und eiskalten Maklern des Todes. Besonders schön, wenn die Prosa sich zu Lyrizismen aufschwingt: "Das Kind, das Kind, das Kind", gefühlte hundert Mal. Oder: "Ich habe einen Menschen getötet/Habe einen Menschen getötet/Einen Menschen getötet", echt. Und dennoch: Auch wenn man jetzt nicht so arg erschüttert ist von den unethischen Machenschaften einer de-regulierten Wissenschaft (es geht halt immer um die ganze Welt, mindestens), hat das Buch durchaus einen unterhaltsamen Sog. Was vermutlich reiner camp ist: Denn man will schon wissen, ob der Roman genauso läuft, wie man nach max. 15 Seiten weiß, dass er genauso läuft. Das ist schon fast Chuzpe, aber unterhaltsam.

Troll

Eher positiv sperrig, sehr intelligent und schön polemisch ist Michal Hvoreckys Troll (Tropen). Der slowakische Autor folgt dem Trend, politische Entwicklungen in eine mehr oder weniger genau definierte Zukunft zu projizieren, um die Gegenwart präzise beschreiben zu können. Irgendwann, nach einem "Hybrid-Krieg", nach der Korrosion etlicher europäischer Staaten, während der Dominanz des "Reichs", worunter wir uns Russland vorstellen dürfen, sind die allmächtigen Sozialen Medien in den Händen von Trollen, die mit ausgefuchstesten Methoden Themen setzen, Biographien zerstören, widerwärtigste Propaganda betreiben, was auch immer auf der Agenda ihrer totalitären Auftraggeber steht. Wer Widerstand leistet oder offen dissident agiert, wird niedergemacht, virtuell und realiter ausgelöscht. Der adipöse Ich-Erzähler, Sohn eines ehemaligen Mitglieds der Nomenklatura einer weggeputschten Diktatur und lange Jahre psychiatrisiert, tut sich mit der konstitutiv drogensüchtigen Johanna zusammen, die die aktuellen Zustände genau so unerträglich findet wie er. Sie beschließen, das Troll-System von innen zu sabotieren und heuern deswegen bei dem Großmeister aller Trolle, Valys, an. Als Tandem werden die beiden alsbald zu den Spitzen-Trollen, dark wizzards, skrupellos, genial, widerwärtig. Aber ab wann droht nicht nur die scheinhafte, sondern die tatsächliche Identifikation mit dem Aggressor? Ist es nicht doch geiler, die Macht des Turbo-Trollings zu haben als das System zum Einsturz zu bringen? Hvoreckys Roman tanzt elegant auf den Linien zwischen Satire, Polemik, dystopischer Entwürfe und radikaler Zeitkritik am Hier & Jetzt - und dass das extrem kluge Buch aus der Slowakei kommt, ist kein Zufall. Aber natürlich gilt es auch für die ganze Visegrád-Gruppe und wer weiß, in Zukunft noch für weitere Länder, die BRD nicht ausgeschlossen.

Welcome to Borderland

Ein Meisterstück komprimierter Kulturgeschichte ist Jeanette Erazo Heufelders Welcome to Borderland. Die US-mexikanische Grenze (Berenberg). Auf knappen 250 Seiten skizziert die Lateinamerika-Spezialistin die Geschichte der Grenze seit dem 18. Jahrhundert (mit Exkursionen nach hinten), die weniger eine topographische, sondern eine politische Grenze ist - immer konfliktreich, immer mit Blut getränkt, und heute neuralgischer denn je. Trumps Politik der Abschottung rückt so in ein Kontinuum des Rassismus, der nackten Gewalt, des Imperialismus und der wirtschaftlichen Ausbeutung. La Frontera und the Border sind dennoch miteinander verknüpft, als romantisches Sehnsuchtsland ("across the borderline"), als ökonomischer Crash zwischen "erster und dritter Welt" (welch perfider Euphemismus) und auch als unendlicher Quelle der unterschiedlichsten Narrative, die, wie Heufelder unterstreicht, signifikant häufig gewalthematisierende Narrative sind - narcocorridos, die Bücher von Charles Bowden oder Joseph Wambaughs "Lines and Shadows", der Alamo-Mythos, die Tijuana-Legenden von "A touch of evil", Burroughs & Co. Insofern ist das Buch eine unabdingliche Handreichung für Faktenchecks, falls mal wieder die Mexiko-Romantik oder die üblichen Country-Noir-Klischees durchschlagen.

111 Tipps und Tricks wie man einen verdammt guten Krimi schreibt

Ich hatte ja schon Angst, dass Martin Schüllers 111 Tipps und Tricks wie man einen verdammt guten Krimi schreibt (Emons) mal wieder eine Ausgeburt all der unsäglichen Schreibschulen/-kurse sein könnte, bei denen Ahnungslose, Unbedarfte und Hobbyautoren noch ahnungsloseren Möchtegern-AutorInnen erklären, was ein Krimi ist, was geht und was nicht geht, worauf dann nach solchen Maßgaben zusammengezimmerte Manuskripte auf nicht nur meinem Herausgeberschreibtisch landen. Vor allem das in Kreisen ganz hartgesottener Postpubertanten beliebte "verdammt" im Titel ist ja schon furchteinflößend genug. Schüller aber bringt es fertig, eine ganz einfache Formel auf 232 Seiten auszufalten, die da heißt: Es geht so ziemlich alles, wenn man's kann. Wenn nicht, nicht. Dafür bin ich ihm richtig dankbar. Da kann man dann auch ruhig darüber hinwegsehen, dass er jede Evidenz und jeden (noch so richtigen) Gemeinplatz - und nur aus solchen besteht das Kompendium - als originelle und brandneue, gar selbstgedachte Einsicht hinstellt, was an sich schon amüsant genug ist, nice eben. Immerhin - aus Nichts ein ganzes Buch zu machen, das ist schon klasse. Das Schönste aber ist: Dieses Buch wird keinen Schaden anrichten. Geht doch.

 

© Thomas Wörtche, 2018

 

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