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Leichenberg 03/2018

 

Seneca und der Tyrann. Die Kunst des Mordens an Neros Hof

Immer wenn flugs ein schickes Zitat gebraucht wird, ist Lucius Annaeus Seneca (1-65) zur Hand - sozusagen das Flaggschiff der römischen Stoa. Seneca passt immer, und wenn noch der gröbste Unfug damit geadelt werden soll, wie es gerade bei Roger Smiths "Mann am Boden" geschehen ist. Ironischerweise passt das perfekt, denn möglicherweise war auch Seneca eine Heuchelbacke von Gnaden. Einerseits der Verfasser berühmter und wirkmächtiger Schriften über edle Themen: "De Vita Beata" (Über das glückliche Leben), "De Constantia Sapientis" (Über die Unerschütterbarkeit des Weisen), "De Clementia" (Über die Güte) und so weiter. Dazu Legitimationen des Selbstmords, Trostschriften an allerlei Zeitgenossen, Berge von Briefen über das gute und gelungene Leben - milde, weise, gerecht. Und gleichzeitig war er Berater, Erzieher, Mitwisser, möglicherweise auch Strippenzieher für das Scheusal Nero, zu dessen Opfer er am Ende auch wurde. James Romm hat sich den historischen Seneca genauer angesehen und dabei ein grandioses Buch über das Verhältnis von Macht und Moral geschrieben: Seneca und der Tyrann. Die Kunst des Mordens an Neros Hof (C.H.Beck). Romm diskutiert zwei Seneca-Bilder. Einmal: "Ein Mann, zu dessen höchsten Idealen Besonnenheit, Vernunft und moralische Tugendhaftigkeit gehörten, wurde ins Zentrum der römischen Politik katapultiert. Er tat sein Bestes, die Launen eines irregeleiteten Tyrannen zu mäßigen, während er fortfuhr, die moralischen Abhandlungen zu veröffentlichen, die seine eigentliche Berufung waren." Und da ist zum anderen auch wahr: "Ein schlauer Manipulant aus bescheidenen Verhältnissen erschmeichelt sich den Weg ins Machtzentrum des Römischen Reiches. Er nutzte seine glänzende Sprachbegabung dazu, sich als Philosoph darzustellen, nutzte... seinen großen Einfluss, um sich zu bereichern... beteiligte sich an den finstersten Verbrechen des Palasts als Mitverschwörer oder sogar als Anstifter,... versuchte seinen Ruf mit wohlbedacht ausformulierten literarischen Paradestücken zu retten". Also Rätsel Seneca? Romm sammelt oder besser: versucht Belege für beide Varianten zu sammeln. Aber angesichts der in der Tat finsteren Ranküne - Muttermord, Ausbeutung, Korruption, Auslöschung ganzer Familien und Erblinien, Verschwendung und schamloser Bereicherung (die Römer der Kaiserzeit ließen ja bekanntlich Game of Thrones ziemlich blass aussehen, auch wenn Nero, entgegen seinem Ruf, noch nicht einmal das Top-Scheusal war) - und angesichts der ungeheuren Profite, die Seneca für sich selbst herausholte (eine Art Hedgefond Operation in Britannien führte zu einem blutigen Krieg mit abertausenden von Opfern), fällt Romms Bilanz zu recht eher skeptisch aus. Spannend dabei ist natürlich, dass Senecas Philosophie es geschafft hat, sich von ihren Kontexten loszulösen und ihre eklatante Instrumentalisierung (fast) vergessen zu machen und sich ins Weltkulturerbe einzuschreiben, zumindest für Nicht-Spezialisten. Insofern ist Romms Buch auch eine immer noch aktuellen Studie zu Macht, Realpolitik und Legitimationsstrategien. Es markiert auch die haarfeinen und subtilen Bruchstellen, die in der heutigen Ökonomie der Aufmerksamkeit zu beobachten sind. Insofern war Seneca auch ein Urtyp des "Moralunternehmers", der sein eigenes Marketing mit durchaus sinnvollen, guten und schönen und vor allem wohlfeilen Bekundungen betreibt, die der eigenen (aufmerksamkeits- und realökonomischen) Praxis zuwiderlaufen. True Crime vom Feinsten.

ACAB - All Cops Are Bastards

Dicht an der Realität siedelt auch Carlo Boninis ACAB - All Cops Are Bastards (Folio). Der Roman folgt keiner gängigen Suspense-Formel. Ausgehend von Pier Paolo Pasolinis berühmten Artikel "Die KPI an die Jugend!!" von 1968, der in ketzerische-paradoxer Absicht die Klassenunterschiede zwischen Polizisten und linken Demonstranten (Proletarierkinder vs Bürgerkinder) thematisierte, schaut sich auch Bonini die Konfliktlinien zwischen der italienischen Bereitschaftspolizei und den Ultras, bzw. Nazi-Skins genauer an. Hintergrund ist zunächst die zögerliche Aufarbeitung der explodierten Polizeigewalt beim G8 in Genua im Juli 2001. Da schienen die Fronten noch klar zu sein - eine besinnungslos prügelnde faschistoide Polizei gegen Globalisierungsgegner. Aber was, wenn Polizei und ihre Widersacher schon fast bürgerkriegsmäßig aneinandergeraten und dennoch gemeinsame ideologische und soziologische Wurzeln haben? Vertreter des "starken" Staates à la Mussolini gegen Rechts-"Anarchisten". Hass und krasse Gewalt prägen das öffentliche Leben, denn auch Migranten sind oft Opfer beider ansonsten bis aufs Blut verfeindeter, sozial abgehängter junger Männer und deren Gewaltkultur. Und weil Bonini auch noch den mafia-induzierten Müllstreik im Hintergrund präsent hält, zeigt er Italien als ein Land, dem zivilgesellschaftlicher Konsens längst abhandengekommen ist. Aus verschiedenen Perspektiven und Textsorten montiert Bonini eine schier ausweglose Gewaltspirale. Das ist spannend.

Das schwarze Herz des Verbrechens

Auch Das schwarze Herz des Verbrechens (Nagel & Kimche) ist ein spannender Roman. Aber nicht aus den üblichen Gründen des Suspense. Zum einen beschreibt Marcelo Figueras' Roman die Entstehung eines der Hauptwerke der argentinischen Literatur: "Das Massaker von San Martín" (erschienen 1957) von Rodolfo Walsh, dessen weltliterarische Bedeutung zudem noch darin liegt, dass dieses Buch der Gründungstext des Genres "True Crime" ist, acht Jahre vor Truman Capotes "Kaltblütig". Ausgangspunkt von Walsh und auch von Figueras ist ein Massaker, das die argentinische Regierung während der sogenannten "Befreiungsrevolution" gegen angebliche peronistische Kräfte 1956 an mehr oder weniger unbeteiligten Zivilisten angerichtet hatte. Figueras zeichnet den Weg von Walsh vom Verfasser marktgängiger Kriminalromane bis zum flamboyanten politischen Schriftsteller nach. Die Entstehung dieses Buches, die Gefahren, denen sich der Autor aussetzt und damit alle seine ihm nahestehenden Menschen auch, die allmähliche Korrosion seiner sozialen und Liebesbeziehungen, seine Zweifel und Skrupel, die Veränderungen, die mit ihm während dieses kreativen Prozesses vorgehen, aber auch seine Sturheit und sein Dogmatismus - all das liefert eine spannende "Biographie" eines eminenten Buches. Zum anderen liefert Figueras im Roman eine Art "Poetik" von Kriminalliteratur: Eine Diskussion um die Realitätshaltigkeit von (Kriminal-)Literatur, um die reine Ästhetik von "Zeichenoperationen" und dem "Sitz im Leben" von Literatur. Wobei Walsh am Ende als der profilierteste Gegenpol zu dem "ästhetizistischen" Konzept Jorge Luis Borges' steht. Zwei Positionen, die auch heute noch virulent sind. So balanciert Das schwarze Herz des Verbrechens auf einem dünnen Draht zwischen "Ideenroman" und politischem Kriminalroman, zwischen fein ziseliertem Autorenporträt und ästhetisch-politischem Diskurs.

Fast ein guter Plan

Suspense und Action, geradlinig wie ein Strich ist das Prinzip von Wallace Stroby. Auch der dritte Roman um seine Profigangsterin Crissa Stone, Fast ein guter Plan (Pendragon), lebt nach diesem eher unterkomplex anmutenden Strickmuster. Topisch - ein Coup geht schief, die Partner geraten sich in die Haare, die bestohlene Partei schickt ein üblen Fixer aus, die Leichen stapeln sich und Crissa tut nebenbei noch Gutes. Alles voraussehbar, alles nach Schema, und dass Stroby eine Heldin hat, statt des an dieser Stelle üblichen Helden ist inzwischen nicht weiter bemerkenswert. Bemerkenswert ist eher, dass der Pendragon Verlag den schönen Originaltitel "Shoot the Woman First" (in Anspielung auf Anti-Terrorhandbücher) nicht verwenden wollte. Anyway - und das ist das Wunder: Es funktioniert prächtig. Reduktion als Kunstform, Schlichtheit als Purismus, irgendwie aus der Zeit gefallen, aber höchst vergnüglich. Und garantiert "diskursfrei". Auch das ist eine Qualität, die man durchaus schätzen darf.

Die Maske

Shozo Kiku ist der Chef eines mächtigen japanischen Oligarchen-Clans, der sein Geld mit allem verdient, was schmutzig und widerwärtig ist: Waffenhandel, Destabilisierung von Regierungen in Afrika zur Rohstoffgewinnung und so weiter. Eng verbandelt natürlich mit den Yakuza und politisch deutlich erwünscht. Eine besonders abwegige Familientradition besteht darin, einen Sohn (meistens der letzte) zu zeugen, in der Absicht, ein "Geschwür" auf die Menschheit loszulassen, das nichts wie Unglück, Tod und Verderben bringen soll. Ausgerechnet der sensible Fumihiro soll so zum Monster gemacht werden. Zum Training im Leute-Ruinieren wird ein Waisenkind in die Familie aufgenommen, die schöne Kaori. Fumihiro verliebt sich und tötet lieber seinen Vater, als seiner "Geschwür"-Funktion gerecht zu werden. Entsetzt muss er feststellen, dass er sich nach diesem Mord physiognomisch immer mehr seinem Vater angleicht - er wird hässlich und abstoßend. Deswegen unterzieht er sich, volljährig geworden, einer Gesichtsoperation und stiehlt die Identität eines gewissen Koichi Shintani. Der aber war selbst ein schlimmer Finger, hinter dem die Polizei her ist. Und der Clan der Kuki knackt auch alsbald Fuhimiros neue Identität und will abermals Kaori als Opfer in die Klauen bekommen. Fuhimiro muss also eine Art Zwei-Fronten-Krieg führen, wobei im Hintergrund noch eine nihilistische Terrorgruppe mitmischt, auch die aus dem Geiste der "Geschwür"-Theorie. Man sieht: Ein abgedrehter Plot, dessen Plausibilität Fuminiro Nakamura in seinem Roman Die Maske (Diogenes) einfach setzt. Das ist - legitimerweise - extrem artifiziell, und dient auch weniger dem Antrieb der Handlung, sondern ist der Untergrund für allerlei philosophische Spekulationen und Diskurse, die im Laufe des Buches immer dominanter werden. Todessehnsucht, Menschenverachtung, Identitätsauflösung, Zersetzung von Wertesystemen - das ganze nihilistische Programm seit Turgenjew, nur noch radikaler, noch düsterer eingefärbt. Diskurs-Noir, sozusagen. Das oszilliert zwischen spannend und bleischwer. Originell ist das auf jeden Fall und bleibt Nakamuras Prinzip treu, Philosopheme und zeitgeistige Themen (wie schon in "Der Dieb", wo es um die Yakuza und den Marquis de Sade gleichzeitig ging) verblüffend miteinander zu verbinden. Seltsam ist allerdings bei aller intellektuellen Brillanz, die man bestaunen kann, dass dieses Staunen nicht zündet, sondern auf der Ebene der Zeichenoperationen bleibt. Interessant, aber nicht weiter erkenntnisfördernd.

 

© Thomas Wörtche, 2018

 

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