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Leichenberg 09/2001

 

Alack Sinner ist wieder da. Nach Jahren bringt die Edition Moderne den dritten Band der beiden Argentinier Muñoz und Sampayo mit dem Titel Begegnungen. Neue Abenteuer des Ahasver unter den Privatdetektiven, der sich diesmal mit seiner Vergangenheit und seiner Familie beschäftigt. Ratlos und rätselhaft bewegt sich Sinner durch die schwarz-weißen Bildwelten, die das Erzählen komplexer und fragmentarischer machen als siebenunddreissig postmodern-dekonstruktivistische Jungdichter. Unheimliche Gestalten mit Schusswaffen lungern auf Waldwegen herum, und der Vampir von Düsseldorf gibt ein merkwürdiges Gastsspiel in einem Universum, das ganz unzeitgeistig auf der Höhe der Zeit ist. Muñoz und Sampayo haben die Qualitätslatte für graphic novels inzwischen so hoch gelegt, dass es schwierig wird, sie zu toppen. Vermutlich auch für sie selbst.

Ähnlich rätselhaft Die Spur der Perlen von Manuel de Lope (dtv premium). Hat man sich erstmal an den etwas wuchernden, rhetorischen Stil des Autors (der in diesem Punkt sowas von klassisch-kastilisch ist) gewöhnt, kann man sich an den wunderlichen Abenteuern des Anwalts Alfredo Kauffman in der August- Sonnenglut von Madrid erfreuen. Und an der maliziösen Ironie, mit der de Lope diese inszeniert.

Wunderlich auch Die Rache der Baumeister von Milos Urban (Rowohlt Berlin), ein Kriminalroman aus Prag, der die Atmosphäre eines Gustav Meyrink oder Leo Perutz trefflich konserviert. Mit einem »realistischen« Kriminalroman hat das nichts zu tun, aber das sprach- und bildmächtige und sehr intensive Buch liegt, wie das von de Lope auch, im Trend: In der Nutzung der Genre-Form als rein formales Erzählskelett. Dem liegt vermutlich zwar das Missverständnis zugrunde, »Genre« sei eine Hohlformel, die man beliebig füllen kann. Vermutlich auch, weil man unter dieser Hohlformel nur die historisch überalterten Modelle meint. Aber vielleicht könnte die dadurch sogar wieder zu neuer Tragkraft auferstehen. Wir werden das beobachten.

Reines Genre hingegen ist Das erste der sieben Siegel von John F. Case (Bastei) - ein tüchtig gestrickter Thriller »über«. Diesmal über eine durchgeknallte Sekte, die die Welt mit der Spanischen Grippe zur Sau machen will. Ist schon okay, Jungs, und als schneller Lesespass tauglich, auch wenn das Ganze arg unter der Voraussehbarkeit aller Plotstränge leidet.

Eine unvoraussehbare Überraschung kommt aus deutschen Provinzen, genauer: aus Darmstadt. Dort spielt Die Zunge im Mixer von P.J. Hoffmann (Kranichsteiner Literaturverlag). Eine »Krimi-Handlung« ist auch mit bestem Willen irgendwo auszumachen, aber die ganz entschiedenen Stärken liegen in der intelligenten Prosa und dem wunderbar präzisen Blick des Autors für den deutschen Alltag. Und in herrlichen Aperçus: »Wo Vampire einen venösen Zugang suchten, suchte Siebold den analen«. Was Wunder, ist der Held doch ein erfolgloser Philosophie-Doktorand, der über Wittgenstein lebenslang nachdenkt. Und im Knast landet, wo er das in Ruhe tun kann.

Nach so viel Leichtfüßigkeit dann das nachtschwarze Gegenstück: Verzeihen von Friedrich Ani (Droemer). Eine Dampframme von einem Buch, mit einem ebenfalls bewundernswert scharfen Blick für Realitäten und einem feinen Feeling für die Katastrophen des modern life. Weil die eine Hauptfigur beabsichtigte Ähnlichkeiten mit dem Fake-Reporter Tom Kummer (Sie erinnern sich?) hat, wird Anis Roman ohne dekonstruktivistischen Fidelwipp auch zu einem klugen Diskurs über Realitäten und deren fiktionale Parallelen.

 

© Thomas Wörtche, 2001

 

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